Wie der deutsche Kohleausstieg der Ukraine helfen kann
Kiew/Berlin (energate) - Seit März dieses Jahres hat Russland mit gezielten Attacken große Teile des ukrainischen Kraftwerksparks zerstört. Vor dem nächsten Winter versucht das Land, mit internationaler Hilfe die Schäden wieder zu reparieren. Durch die Attacken der vergangenen Wochen sind mehr als 80 Prozent der konventionellen Kraftwerke im Land zerstört, auch 30 Prozent der Wasserkraftanlagen sind betroffen. Hinzu kommen Schäden an der Energieinfrastruktur. "Die Effizienz der russischen Angriffe ist deutlich höher als noch vor einem Jahr", erklärt Maxim Timchenko, CEO des Versorgers DTEK. Dies sei eine Folge der fehlenden Luftabwehrkapazitäten im Land. DTEK ist der größte private Energieversorger der Ukraine und betreibt mit rund 70.000 Mitarbeitenden Kohlegruben, Öl- und Gaskraftwerke, aber auch Windparks und Solaranlagen.
Laut Timchenko hat das Unternehmen nur noch einen konventionellen Kraftwerksblock mit 600 MW in Betrieb. Vor Kriegsausbruch lag die thermische Erzeugungskapazität von DTEK bei über 5.000 MW. Der seit März entstandene Schaden liegt bei knapp einer Mrd. Euro.
Sollte es nicht gelingen, die Kapazitäten wieder aufzubauen, drohen im kommenden Winter Stromausfälle, erklärt der DTEK-CEO. Darunter hätten die Menschen und die Wirtschaft im Land zu leiden. Das Unternehmen arbeitet daher daran, die zerstörten Anlagen so schnell wie möglich wieder zu reparieren, unter anderem mit gebrauchten Teilen aus stillgelegten Kraftwerken in Europa. Hier kommen Deutschland und der Kohleausstieg ins Spiel. Eine DTEK-Delegation reist noch im Mai nach Nordrhein-Westfalen, um sich an Kraftwerkstandorten von RWE nach möglichen Ersatzteilen umzuschauen, wie der Versorger auf Nachfrage bestätigte. RWE hatte zuletzt Ende März fünf weitere Kraftwerksblöcke in NRW endgültig stillgelegt.
BDEW: Abgeschaltete Kohlekraftwerke als Ersatzteilquelle
Aus der Energiewirtschaft in Deutschland kommen bereits seit Kriegsbeginn Hilfen für den ukrainischen Energiesektor. So stellten Unternehmen etwa Generatoren oder Netztechnik bereit. "Ziel ist es, zerstörte Anlagen schnellstmöglich wieder funktionsfähig zu machen und die Menschen in der Ukraine mit Strom zu versorgen", erklärt Martin Weyand, Mitglied der BDEW-Hauptgeschäftsführung, auf energate-Nachfrage. Die Hilfsmaßnahmen würden dabei regelmäßig an den Bedarf angepasst.
Auch der BDEW sieht neue Möglichkeiten durch die Energiewende in Deutschland. "Eine zusätzliche Quelle für Ersatzteile für zerstörte ukrainische Kraftwerke kann sich aus dem deutschen Kohleausstieg ergeben", so Weyand. Die vom Netz genommenen deutschen Kohlekraftwerke könnten als Übergangstechnologie eine weitere Verwendung in der Ukraine finden. "Hier sind wir in Gesprächen", bestätigte Weyand.
Wiederaufbaukonferenz in Berlin
Klar ist, für den Ankauf von gebrauchten und auch neuen Bauteilen für Kraftwerke oder Stromnetze in Europa braucht die Ukraine Geld. DTEK-CEO Timchenko setzt auf die internationale Ukraine-Wiederaufbaukonferenz, die im Juni in Berlin stattfindet. Vertreter aus Politik und Wirtschaft kommen dort zusammen. Es brauche konkrete Vereinbarungen, so der DTEK-CEO. Er hofft dabei auch auf weitere Unterstützung aus Deutschland. Die KFW Bank hat dem ukrainischen Stromnetzbetreiber Ukrenergo seit Kriegsbeginn bereits 300 Mio. Euro als Darlehen bereitgestellt. Aus dem Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums flossen 155 Mio. Euro in den Ukraine Energy Support Fund.
Erhöhte Importkapazitäten
Helfen könnten der Ukraine mit Blick auf den kommenden Winter auch erhöhte Stromimporte aus Europa. Aus Sicht von DTEK müsste die Übertragungskapazität zwischen dem Entso-E-Gebiet, dem Verbund der EU-Übertragungsnetzbetreiber, und der Ukraine auf 2.200 MW anwachsen. Die Ukraine ist seit Frühjahr 2022 mit dem europäischen Netz verbunden.
Dezentrales System für die Zukunft
Auf lange Sicht plant DTEK auch angesichts der Bedrohung durch Russland einen Umbau des Erzeugungsparks. Die einzige Lösung sei ein dezentralisiertes System, so Timchenko. Dieses ist deutlich schwerer mit Angriffen zu treffen. Er hat dabei offene Gasturbinen, aber vor allem einen Ausbau der Wind- und Solarenergie im Blick. So will das Unternehmen seine installierte Erneuerbaren-Leistung in den kommenden zwei Jahren um 1.500 MW erhöhen. /kw