Unions-Pläne für CCS an Gaskraftwerken umstritten
Berlin (energate) - Das Thema CO2-Abscheidung und Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) ist in der Koalition in spe umstritten. Für viele Unternehmen ergibt CCS an Gaskraftwerken wirtschaftlich und technisch wenig Sinn. So das Ergebnis einer Umfrage von energate bei verschiedenen Stakeholdern. Dennoch brauche es eine eigene CO2-Infrastruktur, unter anderem für die Produktion von blauem Wasserstoff.
So setzt beispielsweise EnBW vor allem auf den Einsatz von Wasserstoff in ihren Gaskraftwerken. Dies sei langfristig die wirtschaftlichste und technisch bessere Lösung, denn CO2-Abscheideanlagen an Kraftwerksanlagen würden nur in den Stunden betrieben, in denen das Kraftwerk eingesetzt werde. Dies würde den Betrieb im Gegensatz zu Grundlastanlagen erschweren und die Amortisation deutlich verlängern, heißt es aus Baden-Württemberg. Zum Hintergrund: CCS kann am effizientesten betrieben werden, wenn es konstant läuft.
Genau aus diesem Grund plädiert auch Timm Kehler, Vorstand des Verbandes "Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft" dafür, CO2-Abscheidung und Speicherung unabhängig vom Kraftwerksbetrieb zur Herstellung von Wasserstoff aufzubauen. "CCS ist ein Enabler für blauen Wasserstoff und kann insbesondere im Hochlauf viel günstigen Wasserstoff bereitstellen", so der Verbandschef. Wie das konkret aussehen könnte, beantwortet EnBW: CO2-Abscheideanlagen könnten an wenigen zentralen Standorten, die Erdgas- und Wasserstoffpipelines verknüpfen, errichtet werden und im Grundlastbetrieb eingesetzt werden. So soll der Wasserstoff anschließend bis zur tatsächlichen Nutzung eingespeichert werden.
Die Union möchte CCS nicht nur für unvermeidbare Emissionen in der Industrie zulassen, sondern auch für Gaskraftwerke. Die SPD hingegen bleibt in den Koalitionsverhandlungen bisher bei der rein industriellen Anwendung.
Nachfrageimpulse für H2 wichtig
Auch bei EWE in Oldenburg am Standort zeigt man sich kritisch gegenüber dem Unionsvorschlag. "CCS und Wasserstoff dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden", sagte Tobias Moldenhauer, Leiter Wasserstoff bei EWE. CCS solle nur für unvermeidbare Emissionen eingesetzt werden, Wasserstoff hingegen für die Energiewende. "Für Gaskraftwerke wäre ein zu früher Rückgriff auf CCS kontraproduktiv, weil er die Investitionssignale in H2-ready-Technologien schwächt. Entscheidend ist, dass politische Rahmenbedingungen hier klare Prioritäten setzen - für Wasserstoff und gegen fossile Abhängigkeiten", so Moldenhauer weiter. EWE setzt derzeit selbst mehrere Wasserstoffprojekte um, unter anderem einen 320 MW Elektrolyseur in Emden.
Dass sich der Einsatz von CCS an Gaskraftwerken auch empfindlich auf den H2-Hochlauf auswirken könnte, gibt Sunfire-CEO Nils Aldag zu bedenken: "Die Wasserstoffwirtschaft steht in den Startlöchern und ist bereit zu investieren. Die Bundesregierung muss jetzt klare Nachfrageimpulse für grünen Wasserstoff schaffen, ansonsten erübrigt sich auch das Wasserstoff-Kernnetz. Dazu gehören neben Raffinerien und der Chemie- und Stahlindustrie perspektivisch auch die ins Auge gefassten zusätzlichen Gaskraftwerke."
CO2-Netz ganz am Anfang
Selbst wenn CCS in Industrie und an Gaskraftwerken zum Einsatz kommen sollte und CO2 dann als Grundstoff weiter genutzt werden soll, braucht es hierfür ein Transportnetz. Dieses existiert bisher allerdings nur in den Plänen verschiedener Gasnetzbetreiber. Erste CO2-Netzcluster entwickelt derzeit Open Grid Europe (OGE), vor allem im Norden und Westen der Republik. Der Fokus liegt dabei auf schwer vermeidbaren Emissionen aus der Zement-, Kalk-, Chemie- und Stahlindustrie sowie der Abfallverbrennung, heißt es vom Unternehmen. Der Netzbetreiber fordert von den Koalitionsverhandlungen, dass klare Rahmenbedingungen und Fördermechanismen geschaffen werden. Es gelte, staatliche Absicherungen und innovative Finanzierungsmodelle zu etablieren. Ähnlich sieht das auch Ontras und verweist zudem auf den begrenzten Willen der Öffentlichkeit, neue Infrastrukturen zu dulden.
Und auch die Industrie kämpft mit technischen Herausforderungen bei der CO2-Abscheidung. So verweist der Metall-Hersteller Aurubis aus Hamburg darauf, dass es Prozesse wie das Kupfer-Recycling gibt, bei denen CCS nach heutigem Stand der Technik keine Lösung darstellt. "Nach unserem Kenntnisstand gibt es aktuell keine marktreife und wirtschaftliche Technologie für das Capturing von Abgasen mit sehr geringem CO2-Gehalt", so ein Unternehmenssprecher. Hierfür brauche es weitere Forschung und deren Finanzierung. Aurubis will bis 2050 CO2-frei produzieren.
Über die künftige Rolle von CCS verhandelt derzeit die 19er-Gruppe von Union und SPD. Ursprünglich sollte bis Ostern eine neue Regierung stehen, jüngst dämpften verschiedene Politiker und Politikerinnen beider Parteien jedoch die Erwartungen auf eine schnelle Einigung. Vor allem der Bundeshaushalt bleibt Berichten zufolge umkämpft. /lm