Union erteilt Kraftwerkssicherheitsgesetz Absage
Berlin (energate) - Die Umsetzung der Kraftwerksstrategie ist in dieser Legislaturperiode endgültig gescheitert. "Eine Zustimmung der Union wird es nicht geben", erklärte Mark Helfrich, Fachsprecher für Energiepolitik der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, gegenüber energate. Die Kraftwerksstrategie und der damit zusammenhängende Kapazitätsmarkt seien hochkomplexe Weichenstellungen für das deutsche Stromsystem. Da die Union in die Erarbeitung der Strategie nicht eingebunden war, sei ein Beschluss noch vor der Bundestagswahl "de facto ausgeschlossen", so Helfrich. Der CDU-Politiker betonte, dass die Union das Thema in der nächsten Legislaturperiode "mit höchster Priorität" angehen wolle. Ziel sei es, dann möglichst allen Kapazitäten und Flexibilitäten eine diskriminierungsfreie Teilnahme zu ermöglichen.
Damit dürfte das Ansinnen des Bundeswirtschaftsministeriums hinfällig sein, das Kraftwerkssicherheitsgesetz (KWSG) noch vor der Neuwahl in das parlamentarische Verfahren einzubringen. Staatssekretär Philipp Nimmermann (Grüne) hatte in dieser Woche am Rande einer Veranstaltung in Berlin noch zu energate gesagt, dass der Gesetzentwurf fertig sei und in den nächsten Wochen vom Bundeskabinett beschlossen werden könnte. Allerdings hatte zuvor Interimsfinanzminister Jörg Kukies (SPD) die Realisierung der Kraftwerksstrategie noch vor der Bundestagswahl ebenfalls in Frage gestellt. Da ein Beschluss des Haushalts für das Jahr 2025 im Bundestag nicht mehr möglich ist, fehlen die nötigen Mittel für die Umsetzung der geplanten Ausschreibungen. Zuletzt hatte die Regierung für diese mindestens 15 Mrd. Euro angesetzt.
Flexible Kraftwerke für Dunkelflauten
Für die Energiewirtschaft ist das eine schlechte Nachricht. Erst in der vergangenen Woche sorgte eine Dunkelflaute dafür, dass die Erneuerbarenerzeugung für eine Woche praktisch ausfiel. In der Folge liefen die Gaskraftwerke unter Volllast, auch die Braun- und Steinkohlekraftwerke mussten im Vergleich zum Vorjahr deutlich mehr Strom produzieren. Selbst Ölkraftwerke waren notwendig, um die Residuallast zu decken. Trotz dieser Anstrengungen konnte die Nachfrage aus dem Inland heraus nicht vollends aufgefangen werden, Kraftwerke aus Ungarn und Rumänien mussten einspringen. Genau für solche Situationen sind die flexiblen Kraftwerke notwendig - auch wenn Marktteilnehmer gegenüber energate erklärten, dass die Versorgungssicherheit Deutschlands nicht gefährdet war.
Absage droht Kohleausstieg zu verzögern
Genau aus diesen Gründen verwies Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, gegenüber energate jedoch auf die Dringlichkeit des KWSG. "Das Kraftwerksicherheitsgesetz ist überfällig. Es darf durch die Neuwahl nicht zu einem weiteren Verzug kommen, der Zubau neuer Gaskraftwerke ist Grundlage für den Kohleausstieg", mahnte sie. Denn klar ist: Je länger sich der Bau der wasserstofffähigen Gaskraftwerke verzögert, desto länger werden Kohlekraftwerke als flexible Stromerzeugungsquellen benötigt. Der designierte Amprion-CEO Christoph Müller machte daher gegenüber energate deutlich: "Kein Ausstieg ohne Einstieg. Wir können nur dann versorgungssicher aus der Kohleverstromung aussteigen, wenn wir flexible Gaskraftwerke ans Netz bringen."
Instandhaltung von Netzreserve bedeutet Umsetzungsrisiko
Einig waren sich die befragten Marktteilnehmer allerdings, dass die Verzögerungen beim KWSG keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit haben. Der Energiekonzern EnBW wies jedoch auf energate-Anfrage darauf hin, dass der Umfang der Netzreserve in den kommenden Jahren weiterwachsen werde. Dies wäre jedoch "aufgrund der aufwendigen Instandhaltung dieser Anlagen und möglicher Personalengpässe eine Herausforderung mit erheblichen Umsetzungsrisiken". Weiter gab EnBW zu bedenken, dass bei einer weiteren Verzögerung des Kraftwerksbaus Deutschland zunehmend von Erzeugungsanlagen aus den Nachbarländern abhängig werde.
Dreiklang von KWSG, marktgetriebenen Kraftwerkszubau und Flexibilität
Philipp Godron, Programmleiter Strom bei Agora Energiewende, stellte im Gespräch mit energate heraus, dass er Sorgen um Versorgungsengpässe auch bei Verzögerungen des KWSG ins kommende Jahr derzeit nicht teile. Dennoch müssten Politik und Bundesnetzagentur "ein gutes Auge" auf die Entwicklung der gesicherten Kraftwerksleistungen haben und die Kraftwerksstrategie zügig verabschieden. "Denn für ein klimaneutrales Stromsystem brauchen wir ein gutes Zusammenspiel von marktgetriebenem Kraftwerkszubau und der flexiblen Reaktion von Stromverbrauchern", sagte Godron.
So könne er sich vorstellen, dass die Kraftwerksbetreiber die stundenweise sehr hohen Preise der vergangenen Woche im Intra-Day-Stromhandel als Signal werten könnten, Kraftwerkspotenziale für zukünftige Preisspitzen zu schaffen. "Da werden sich einige geärgert haben, dass sie noch nicht in zusätzliche Kraftwerkskapazitäten investiert haben", so der Agora-Stromexperte. Weiterhin sei die Reform der Industrienetzentgelte ein wichtiger Faktor, um die in einem klimaneutralen Stromsystem benötigen Flexibilitäten auf Seiten der Verbraucher bereitstellen zu können. "Gerade bei hohen Preisen würden wir dann bei Industriekunden eine stärkere und schnellere Reaktion beim Stromverbrauch sehen", schätzt Godron. Derzeit bestehen durch die Netzentgeltsystematik Hemmnisse für Industriekunden, auf Preissignale zu reagieren. "Es ist daher gut, dass hier ein Reformprozess von der Bundesnetzagentur angestoßen wurde, um mehr Flexibilität zu ermöglichen."
Die Frage nach der Versorgungssicherheit werde zudem nicht allein durch die Umsetzung des KWSG bestimmt, sondern auch durch das Maß, in dem Flexibilität vorangetrieben werde und marktgetriebene Kraftwerksinvestitionen getätigt würden. Sollten die Anstrengungen in all diesen Bereichen nicht ausreichen, müsse die Bundesnetzagentur "die Abschaltung von Kraftwerkskapazitäten im Blick behalten, und diese gegebenenfalls in den bestehenden Reservepool überführen", urteilte Godron. /cs/rh