Thüringen steht vor energiepolitischer Weichenstellung
Erfurt (energate) - Am 1. September sind rund 1,7 Mio. wahlberechtigte Thüringer aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Bei der letzten Wahl machten die Landtagsabgeordneten Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten. Prognosen zufolge wird seine Partei, die Linke, dafür aber nicht noch einmal genug Stimmen erhalten. Denn im Vorfeld der Wahl führt die AfD in den Umfragen mit rund 29 Prozent der Stimmen oder mehr. Die CDU wird auf 22 Prozent und das Bündnis Sahra Wagenknecht BSW auf 20 Prozent geschätzt. Die Linke erhält demnach ungefähr 14 Prozent. Die Berliner Ampel-Parteien sollen den Schätzungen zufolge einstellige Werte erreichen: SPD 7 Prozent, Grüne 4 Prozent und FDP 2 Prozent.
Linke setzt auf Fernwärme
Energiepolitisch setzt die derzeitige Regierungspartei die Linke unter anderem auf das Thema Fernwärme. Kommunale und gemeinwohlorientierte Nah- und Fernwärmenetze will sie ausbauen. Weitere Maßnahmen aus dem Wahlprogramm sind die Installation von Solaranlagen auf großen Dachflächen und anderen ungenutzten Arealen, die Förderung von Energiespeichern und die Unterstützung von Energiegenossenschaften. Für die klimagerechte Infrastrukturerneuerung soll ein Transformationsfonds entwickelt werden.
Die Reiner Lemoine Stiftung lobt in ihrem Check der Wahlprogramme zudem das Konzept zur Industriewende und zum Strommarktdesign der Linken. Dies erscheine im Vergleich zu anderen Programmen am differenziertesten und umsetzbarsten. So will die Linke beispielsweise die flexible Nutzung von Energie voranbringen, und sich auf Bundesebene für eine demokratische Kontrolle der Übertragungsnetze und der staatlichen Preisaufsicht im Energiesektor einsetzen, sowie für eine neue Netzentgeltstruktur.
AfD will Energiewende ausbremsen
Diese und andere Energiewende-Themen beschäftigt den möglichen Wahlgewinner nicht: Das Wahlprogramm der AfD ziele aktiv darauf ab, die Energiewende zu verhindern und ihre Notwendigkeit infrage zu stellen, urteilt die Reiner Lemoine Stiftung. Der Ausbau der erneuerbaren Energien lasse die Preise steigen und erhöhe die Wahrscheinlichkeit eines großflächigen Stromausfalls (Blackout), behauptet die AfD. Sie lehnt den weiteren Bau von Windenergieanlagen oder Stromtrassen ab. Stattdessen setzt die Partei auf Gas und fordert den raschen Wiedereinstieg in die Kernenergie in Deutschland. Erdgaslieferungen aus Russland sollen wieder erfolgen können, die Nord-Stream-Pipelines seien zu reparieren.
Die Atomkraft reaktivieren möchte auch die CDU. Außerdem setzt sich die Partei beispielsweise für einen niedrigen CO2-Preis und eine reduzierte Stromsteuer, eine Reform der Netzentgelte, Speicherforschung, Biogasanlagen, türkisen und blauen Wasserstoff sowie Geothermie ein. Allerdings geht das CDU-Programm bei den einzelnen Punkten nicht in die Tiefe.
SPD und Grüne widmen sich der Energiepolitik in ihren Wahlprogrammen ausführlicher. Dabei betont die SPD naturgemäß den Punkt der sozialen Gerechtigkeit. Die notwendigen Entscheidungen müssten für alle Menschen sozial verträglich sein, heißt es im Wahlprogramm. Zu den Maßnahmen gehört die Einführung eines sozialen Klimageldes auf Bundesebene und die Stärkung der öffentlichen Versorgungsinfrastruktur sowie Förderungen. So soll beispielsweise ein mit 50 Mio. Euro ausgestatteter Fonds Haushalten mit niedrigem Einkommen und geringem Eigenkapital den Zugang zu günstigen Zuschüssen und Darlehen für die Gebäudesanierung ermöglichen.
Grünen betonen Klimakrise
Die Grünen betonen die Gefahren der Klimakrise und den daraus hervorgehenden Handlungsbedarf. Das Thüringer Klimagesetz wollen sie reformieren, um ein Ziel von Klimaneutralität bis 2040 ergänzen und verbindlicher machen. Kernziele sind darüber hinaus ein Thüringer Zukunftsfonds zur finanziellen Absicherung von Investitionen in den klimaneutralen Umbau, bilanziell 100 Prozent erneuerbare Stromversorgung bis 2035, natürlicher Klimaschutz und Kohlenstoffsenken. Außerdem fordern sie einen Klimacheck für alle Gesetzesvorhaben und Haushaltsentscheidungen. Klimaschädliche Ausgaben seien abzubauen.
Ob es die FDP in den Landtag schaffen wird, erscheint fraglich. In ihrem Wahlprogramm betonen die Liberalen ihren Wunsch nach einer "ideologiefreie Energiepolitik, die alle verfügbaren und zukünftigen Technologien berücksichtigt und fördert."
BSW adressiert Mittelstand
Zum entscheidenden Faktor bei der Regierungsbildung könnte hingegen das Bündnis Sahra Wagenknecht BSW werden. Die Partei betont, dass sich die Energieversorgung Deutschlands noch nicht allein durch erneuerbare Energien sichern lasse. Kleine und mittelständische Unternehmen stehen beim BSW im Fokus. Sie sollen beispielsweise durch Investitionshilfen für Eigenstromerzeugung oder Energieeffizienz unterstützt werden. Ziele der Partei sind zudem unter anderem niedrige Strompreise und reduzierte Netzentgelte, "technologieoffene" und verbrauchsnahe Strom- und Wärmeerzeugung sowie die Entwicklung innovativer Speichertechnologien. Ein atomares Endlager in Thüringen lehnt die neue Partei ab.
Strommarktdesign und Entgelte, Verkehrsverlagerung und -vermeidung sowie Infrastruktur und Netze werden in fast allen Wahlprogrammen diskutiert. Das Reiner Lemoine Stiftung bewertet aber nur drei Programme insgesamt als sehr gut (B90/Grüne) beziehungsweise gut (Linke und SPD) im Sinne der Energiewende. "Es ist alarmierend, dass die Parteien zwar vielfältige Maßnahmen vorschlagen, diese jedoch häufig die systemischen Bedarfe einer wirklich progressiven Energiewende nur unzureichend erfüllen" urteilte Claudia Kemfert, Energieökonomin beim Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.
Neben Thüringen wird am 1. September auch in Sachsen gewählt. Am 22. September folgt Brandenburg. energate wird auch zu den energiepolitischen Themen dieser Wahlen berichten. /ck