THG-Quotenverfall gefährdet Energiewendeprojekte
München (energate) - Der Preisverfall bei den Treibhausgasminderungsquoten könnte weitere Kreise ziehen und zunehmend auch zum Problem für Energiewendeprojekte in Deutschland werden. Erste Vorhaben seien vor dem Hintergrund bereits gestoppt oder zumindest auf Eis gelegt, weil sie zu den aktuellen Preisen nicht mehr wirtschaftlich sind. Das berichtete Jan Röstel, Head of Sales & Co-Founder des Plattformbetreibers Q-Bility, im Gespräch mit energate. Als Beispiel nennt er unter anderem Westküste 100. Ende 2023 hatten die Projektverantwortlichen das Aus für den geplanten 30-MW-Elektrolyseur bei der Raffinerie Heide verkündet. Die Raffinerie hatte gemeinsam mit Ørsted Deutschland und Hynamics über drei Jahre an dem Vorhaben für eine Wasserstofferzeugungsanlage gearbeitet.
Mechanismus der THG-Quote funktioniert nicht mehr
Hintergrund ist, dass die Produktion von erneuerbaren Kraftstoffen kostspielig ist. Damit die Herstellung für die Unternehmen überhaupt wirtschaftlich ist, braucht es Subventionen. Genau diese Aufgabe sollte ein Stück weit die THG-Quote übernehmen. Zum Hintergrund: Mineralölunternehmen müssen in Deutschland ihre Treibhausgasemissionen, die durch das sogenannte Inverkehrbringen von konventionellen Kraftstoffen verursacht werden, jährlich um einen festgeschriebenen Prozentsatz (die THG-Quote) reduzieren. Dies soll den klimafreundlicheren Alternativen wie Grünstrom in E-Autos, Biodiesel, Biomethan oder Wasserstoff Auftrieb geben. "Doch dieser Mechanismus funktioniert bei so einem Überangebot, wie wir es aktuell durch Brown Grease und die UER-Zertifikate haben, eben nicht mehr", erklärte Röstel weiter.
Hohe Preise hatten Sogwirkung entfaltet
Das Problem sei, dass die vormals - noch im Jahr 2022 - hohen Quotenpreise eine Art "Sogwirkung" entfaltet hätten. Die damit einhergehenden guten Verdienstmöglichkeiten hätten "quotenfähiges Material" nicht nur aus Deutschland oder Europa, sondern etwa auch aus China angezogen. "Seither strömen Biodiesel als auch die UERs aus China zu nicht konkurrenzfähigen Preisen in den deutschen Markt und können auf die Treibhausgasminderungsquote angerechnet werden", so Röstel. In der Folge ist der Quotenpreis von teilweise über 500 Euro/Tonne auf mittlerweile um die 100 Euro/Tonne gesunken, und das dauerhaft. Dieses Preisniveau reiche eben nicht aus, um Biomethan oder Wasserstoff für den Verkehrssektor wirtschaftlich zu produzieren, so der Experte.
Betrugsskandal seit Herbst 2023 bekannt
Das Tragische daran ist vor allem, dass das lukrative Geschäft im deutschen THG-Quotenhandel offenbar nicht nur redliche Marktteilnehmer angelockt hat. "Seit nun mehr als 1,5 Jahren nutzen wir für den Klimaschutz im deutschen Verkehrssektor falsch deklarierten Biodiesel, sogenanntes Brown Grease, und erst letzte Woche reagiert die EU-Kommission mit vorläufigen Strafzöllen. Das ist zu langsam. Darüber hinaus setzen wir UER-Zertifikate ein", erklärte Röstel. Schon im Herbst 2023 war eine Diskussion darüber gestartet, ob nicht mehr oder weniger alle Kompensationsprojekte und deren UERs ("Upstream-Emissionsminderungen") im Grunde ein einziger Betrug sind. Laut der gültigen Verordnung lassen sich bis zu 1,2 Prozentpunkte der THG-Quoten mit UER-Nachweisen erfüllen. Ein chinesischer Informant hatte in Deutschland auf Ungereimtheiten bei den Projekten in China hingewiesen.
Die Datenbank der Deutschen Emissionshandelsstelle listet insgesamt 70 solcher Projekte auf. 60 davon befinden sich in China, erklärte der Präsident des Umweltbundesamts (UBA), Dirk Messner, bei der Sonderanhörung des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages zuletzt im Juni zu dem Thema. Das UBA arbeitet den Fall derzeit auf. 40 Projekte prüfte es erneut. Zwei Projekte sind bereits aufgrund von falschen Angaben rückabgewickelt. Bei zwei weiteren Projekten hat die Behörde den Antragsprozess aus Mangel an Daten gestoppt.
"Fataler Fehler der Prüfstelle"
Für den Biomethanhändler Landwärme und seinen Geschäftsführer Zoltan Elek kommt das alles zu spät. Die Umstände um den Quotenverfall hatten das Unternehmen in die Schieflage gebracht, es musste Insolvenz anmelden. Elek beklagte deutlich - ebenso wie die betroffene Biogasbranche - die lange Untätigkeit der deutschen Politik. Auch für den Q-Bility-Mitgründer ist das nicht nachvollziehbar, wie er im Gespräch mit energate sagte. "Sich als Prüfstelle darauf auszuruhen, dass man nicht ins Produktionsland reingelassen werde, um die Beimischungsanlagen zu überprüfen, war ein fataler Fehler", findet er deutliche Worte. Aus seiner Sicht hätte es mehr Druck auf China für eine Überprüfung vor Ort gebraucht. "Wir müssen davon ausgehen, dass bei der Genehmigung dieser Projekte nicht genau genug hingeschaut wurde", so Röstel. Anders sei es nicht erklärbar, dass sich eine vermeintliche Anlage, für deren Bau viel Geld geflossen ist, als "leerer Hühnerstall" entpuppt habe.
Fehlende Digitalisierung als Schlupfloch
Marktteilnehmer hatten vermutet, dass die fragilen Handelsbeziehungen mit China ein Umstand für die lange Untätigkeit der deutschen Behörden gewesen sein könnten. Röstel sieht aber an der Stelle auch noch ein anderes Problem: "Die fehlende Digitalisierung in Deutschland ist ein großes Schlupfloch", sagt er. Viele beteiligte Behörden arbeiteten heute noch ausschließlich mit Papier. Gesetze und Verordnungen schreiben das vor. Teilweise können die Unternehmen ihre Unterlagen für die Emissionseinsparungen nur in Papierform einreichen. "Große Mineralölkonzerne bringen ihre Unterlagen mit LKW zur Prüfstelle. Da bekommt man ein Gefühl dafür, welche Ressourcen allein für die Überprüfung notwendig sind." Das verlangsame nicht nur das Marktgeschehen, sondern erschwere eben auch frühzeitige Kontrollen und Gegenmaßnahmen.
Schnelle Erholung unwahrscheinlich
Dass sich der Markt alsbald von den Betrugsskandalen erholt, nimmt der Experte nicht an. Denn selbst wenn die Importe gestrichen würden und die UER-Zertifikate auslaufen, sei in der vergangenen Zeit ein "großer Berg" an Lagermengen von THG-Quoten aufgelaufen. Schon vor den Skandalen habe es Lagermengen von mehr als 3 Mio. Tonnen CO2 gegeben. "Dass dieser Berg durch die günstig verfügbaren Erfüllungsoptionen eher größer als kleiner geworden ist, dürfte sehr wahrscheinlich sein", sagte er. Die THG-Quotenverpflichtung müsse seiner Einschätzung nach parallel "deutlich angehoben werden", um eine baldige Erholung des Marktes zu gewährleisten. Für das laufende Jahr 2024 steht sie nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und der zugehörigen Verordnung bei 9,35 Prozent und würde schrittweise bis 2030 auf 25,1 Prozent ansteigen. /ml