Reservekraftwerke als Preisdämpfer? Branche überwiegend dagegen
Essen (energate) - Die Energiewirtschaft ist sich uneins über den Umgang mit Reservekraftwerken. Die im Raum stehende Frage: Sollten Reservekraftwerke in Zeiten von außergewöhnlich hohen Strompreisen hochgefahren werden, um Preise zu dämpfen? Die künftige Koalition aus Union und SPD hält dies für notwendig. In den Sondierungsgesprächen einigten sich die Parteien darauf, die Rolle der Reservekraftwerke anzupassen. Künftig sollen demnach Reservekraftwerke nicht nur zur "Vermeidung von Versorgungsengpässen, sondern auch zur Stabilisierung des Strompreises zum Einsatz kommen".
Markus Krebber äußert heftige Kritik
Scharfe Kritik an solchen Plänen äußerte RWE-CEO Markus Krebber bei der Bilanzpressekonferenz in Essen. "Vordergründig hört es sich nach einer richtig guten Idee an", so Krebber, aber: "Wir halten das für keine gute Idee. Nicht nur aufgrund des Zustands der Anlagen und des Alters, sondern auch der negativen Wirkung, die man damit entfaltet", führte er aus. Diese könne "die erwartete positive Wirkung deutlich überkompensieren", warnte er.
Dazu führte er mehrere Gründe ins Feld. Die gegenwärtige Preisdivergenz am Strommarkt incentiviere den dringend benötigten Zubau an Großspeichern ganz ohne Ausschreibungen. Die Speicher würden schließlich nicht nur zur Kappung von Preisspitzen gebraucht, sondern auch, um Überschussstrom in Zeiten negativer Preise zu speichern. Deshalb dürfe der Zubauanreiz nicht wegfallen, mahnte er. Ferner schmälere die Idee den Anreiz, bestehende Reservekraftwerke endgültig stillzulegen. Eine derartige Strompreissenkung könne überdies den PPA-Markt schwächen, weil langfristige Stromabnahmeverträge damit unattraktiver würden, mahnte Krebber weiter. Offen sei außerdem, "ob das regulatorisch und rechtlich überhaupt geht".
BDEW befürchtet ebenfalls negative Auswirkungen
Rechtliche Sorgen äußerte auch BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae auf energate-Anfrage. Eine De-facto-Preisobergrenze im Strommarkt widerspreche Paragraf 1 Abs. 4 Nr. 1 EnWG, so Andreae. Auch die BDEW-Hauptgeschäftsführerin fürchtet Auswirkungen auf die Refinanzierung von Flexibilitäten. Sie erinnerte auch daran, dass künstliche Preisdämpfung einen erhöhten Export in die europäischen Nachbarländer zur Folge habe. "Dies könnte die marktliche Knappheit von Erzeugungsanlagen in Deutschland im Gegensatz zur Intention der Regelung je nach Ausgestaltung noch verschärfen", so ihre Warnung.
Zudem stelle sich die Frage, ob die Glättung von Preisspitzen auch einen volkswirtschaftlichen Nachteil haben könne. Bis zum 1. Januar 2027 muss Deutschland einen "Claw-Back-Mechanismus" in das EEG implementieren. Eine Dämpfung von Preisspitzen hätte weniger Einnahmen für das EEG-Konto zur Folge. "Die Großhandelspreise würden sinken, aber der Bundeshaushalt würde dadurch stärker belastet werden", so Andreae.
Auch DIHK und Stadtwerkeverbund skeptisch
Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer fürchtet negative Effekte. "Reservekraftwerke als Preisdämpfer einzusetzen, ist der falsche Weg, weil Marktsignale geschwächt werden", argumentierte Niclas Wenz, Referatsleiter für Strommarkt, erneuerbare Energie und nationalen Klimaschutz bei der DIHK. In der Folge müsste der Ausbau erneuerbarer Energien, der Speichertechnologien und flexibler Gaskraftwerke mit zusätzlichen Mitteln aus dem Bundeshaushalt teuer bezuschusst werden, so Wenz weiter. "Damit würden die Kostenbelastungen für Unternehmen in Deutschland im Ergebnis nicht kleiner, sondern größer ausfallen."
Auch der Stadtwerkeverbund Trianel betonte gegenüber energate, dass langfristige Investitionen in Flexibilitäten durch Preisdämpfungssignale unwirtschaftlich würden. "Eine Rückkehr dieser Kraftwerke hätte weitreichende Folgen für den Energy-only-Markt, da ein funktionierender Markt Preissignale benötigt", so Trianel. Wenn Reservekraftwerke in Zeiten von Preisspitzen aktiviert würden, würden die Erlöse für die aktiven und künftigen Kraftwerke sinken und damit die Basis für Investitionen, erklärte das Unternehmen weiter.
Steag: Marktteilnahme gestattet faire Vergütung für Kraftwerksbetreiber
Anders betrachtet die Situation Andreas Reichel, Vorsitzender der Geschäftsführung des Kraftwerksbetreibers Steag. Er sprach sich im Februar 2025 dafür aus, systemrelevanten Kraftwerken eine zeitlich begrenzte Marktteilnahme zu gestatten. Der Zeitpunkt des Markteintritts müsse dabei an ein bestimmtes Preisniveau gebunden sein, argumentierte Reichel - als Schwellenwert nannte er beispielsweise 150 Euro/MWh. Dies hätte nach Einschätzung Reichels mehrere Vorteile: Die Kraftwerke könnten Preisspitzen dämpfen, die Kraftwerksbetreiber eine "faire Vergütung" erwirtschaften. Reichel appellierte daher an eine künftige Bundesregierung, sich dieses Thema "ganz oben auf ihre Agenda" zu setzen - und hatte damit offenbar Erfolg.
Amprion: Brauchen Reservekraftwerksstrategie
Die Sondierungseinigungen stoßen noch in einem weiteren Punkt auf Kritik. Um das Energieangebot zu erhöhen, will die kommende Koalition den Bau von bis zu 20.000 MW an Gaskraftwerksleistung bis 2030 im Rahmen einer zu überarbeitenden Kraftwerksstrategie anreizen. Auf dem European Supply Chain Summit in der vergangenen Woche in Berlin bezeichnete Amprion-Vorstand Christoph Müller die 20.000 MW bis 2030 als "unrealistisch". Er regte stattdessen an, Reservekraftwerke als Alternative in den Blick zu nehmen. "Wir brauchen eine Reservekraftwerksstrategie", sagte er. "Das ist unsere Versicherung." Ähnlich äußerte er sich bereits auf der E-world in Essen.
Anders als Reichel hat Müller als systemverantwortlicher Übertragungsnetzbetreiber stärker die Planungs- und Versorgungssicherheit im Blick. Eine langfristige Perspektive müsse aus dem Gedanken der Absicherung entstehen, so Müller in Essen. Unterstützung erhielt er dabei von Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne). Eine Strategie helfe immer, Klarheit zu schaffen, so die Ministerin. Mit einer langfristigen Strategie wüssten die einzelnen Standorte, ob sie in der Reserve bleiben und verfügbar sein müssten, unterstützte Neubaur den Vorschlag einer Reservestrategie von Amprion-Chef Müller. /rh /pa