"NRW bleibt Kraftwerksland"
Düsseldorf (energate) - Für NRW-Wirtschafts- und Energieministerin Mona Neubaur (Grüne) ist die geplante Kraftwerksstrategie der Bundesregierung noch nicht ausreichend, um einen Kohleausstieg bis 2030 abzusichern. "Aus nordrhein-westfälischer Perspektive ist klar zu sagen, dass das nicht reichen wird", sagte Neubaur im Interview mit energate. Sie fordert weitere Maßnahmen und mehr Tempo.
energate: Frau Neubaur, die Bundesregung hat kürzlich ihre Pläne für eine Kraftwerksstrategie vorgestellt. Wie bewerten Sie diese? Sehen Sie auf der Basis die Versorgungssicherheit gewährleistet?
Neubaur: Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen in der Hochphase der damals anzunehmenden Energiekrise Energieversorgungssicherheit und Klimaschutz unter eine Klammer gesetzt. Das bedarf der Back-up-Kapazität von wasserstofffähigen Gaskraftwerken. Das ist in unserer Verständigung mit dem Bundeswirtschaftsministerium und RWE zum vorgezogenen Braunkohleausstieg 2030 auch eindeutig so festgelegt. Wer Energieversorgungssicherheit sicherstellen will, braucht ausreichend Back-up-Kapazitäten in Form von wasserstofffähigen Gaskraftwerken. Die nun vom Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundeskanzleramt genannten Ausschreibungen für wasserstofffähige Gaskraftwerke von 10 GW können aus meiner Sicht nur ein erster Schritt sein. Denn aus nordrhein-westfälischer Perspektive ist klar, dass dies nicht ausreichen wird, um die notwendigen Schritte in Richtung einer klimaneutralen Energieerzeugung zu gehen.
energate: Das bedeutet?
Neubaur: Wir werden uns im Bundesrat dafür einsetzen, dass die Bundesregierung an dieser Stelle nachsteuert. Eine gute und realistische Zahl zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit und der Stabilität des Netzes wären beispielsweise die 24 GW Kraftwerksleistung, die das Bundeswirtschaftsministerium ursprünglich im vergangenen Sommer in Aussicht gestellt hat. Wir in NRW haben ein massives Interesse, den Umbau der Energieerzeugung aktiv voranzutreiben. Und wir liefern auch - das zeigen die ambitionierten Genehmigungszahlen im Bereich der Windenergie. Wir sind im Jahr 2023 diejenigen, die mit Abstand die meisten Windenergieanlagen (WEA) genehmigen konnten. Dies gelang durch eine sehr gute Zusammenarbeit von Umweltministerium, Wirtschaftsministerium und den Regionen. Ohne mehr Leistung der Back-up-Kraftwerke wird es nicht klappen, die Klimaneutralität in dem von der Bundesregierung, der EU und NRW gesteckten Zeitraum zu erreichen.
energate: NRW ist Kraftwerksland, allerdings gehen viele Meiler in den kommenden Jahren vom Netz. Wird NRW auch nach den Abschaltungen der Kohlekraftwerke weiterhin Kraftwerksland bleiben?
Neubaur: Wir verfügen in NRW über zahlreiche attraktive Standorte. Die Betreiber von Kraftwerken in NRW sind entschlossen, den Weg der Transformation mitzugehen. Diese Kombination aus unternehmerischer Entschlossenheit und politischem Willen bildet eine gute Ausgangsposition, dass NRW ein Kraftwerksland und ein Zentrum der Versorgungssicherheit bleibt - auch mit Blick auf die Grundstoffindustrie, die abhängig von einer sicheren Energieversorgung ist. Klar ist auch, dass existierende Kraftwerksstandorte zu priorisieren sind. Jetzt 10 GW in andere Landesteile zu verlagern, würde dem nicht gerecht, was Nordrhein-Westfalen über Jahrzehnte zur Versorgungssicherheit der gesamten Bundesrepublik beigetragen hat.
energate: Für den Kohleausstieg steht das Zieldatum 2030 im Raum. Da bleibt nicht mehr viel Zeit, um neue Kraftwerke zu errichten. Haben Sie Befürchtungen, dass das anvisierte Ausstiegsdatum 2030 noch mal zur Disposition steht?
Neubaur: Wir haben von Anfang an festgeschrieben, dass ein solcher Schritt Back-up-Kraftwerke beinhalten muss. Im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz der Bundesregierung ist daher für das Jahr 2026 ein Revisionspunkt hinterlegt. Dann wird auf Basis der vorliegenden Situation entschieden, ob die Verstromung der Braunkohle um drei Jahre verlängert werden muss. Wenn sich herausstellt, dass die Ziele nicht erreicht werden können, wäre eine weitere Braunkohleverstromung mit einer Reserve bis 2033 möglich.
energate: Trotzdem bleibt das anvisierte Zieljahr 2030. Wie optimistisch sind Sie, dass wir den Kohleausstieg bis 2030 schaffen?
Neubaur: Die Versorgungssicherheit kann nur mit konzentriertem Arbeiten gewährleistet werden - wir müssen auf allen Ebenen dranbleiben. Es braucht nun zunächst so schnell wie möglich eine beihilferechtliche Verständigung mit der EU-Kommission, dass die Pläne so umgesetzt werden können. Dann geht es auch darum, die offenen Fragen der Kraftwerksstrategie, etwa die Ausgestaltung des Kapazitätsmarktes, so zeitnah zu klären, dass der Markt auf dieser Basis Entscheidungen treffen kann. Zugleich muss die Infrastruktur für erneuerbare Energien so schnell wie möglich stehen. Beispiel: Flächenausweisung. Wir erreichen das 1,8-Prozent-Ziel in NRW sieben Jahre früher als vom Bund gefordert.
Wir müssen darüber hinaus Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigen. Als Land Nordrhein-Westfalen haben wir daher beim Bund angeregt, angelehnt an Konvoi-Genehmigungen eine Beschleunigung baugleicher Kraftwerkstypen für die immissionsschutzrechtliche Prüfung umzusetzen. Darüber können wir Zeit gewinnen. Wir prüfen darüber hinaus in Nordrhein-Westfalen zusammen mit dem Umweltministerium, wie wir die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren weiter beschleunigen können. Wir wollen zeigen, dass wir nicht nur gut sind im Ziele formulieren, sondern auch selbst einen wichtigen Beitrag dazu leisten, diese Ziele auch einzuhalten, weil wir Planungen und Genehmigungen beschleunigen.
energate: Teil der Kraftwerksstrategie ist ein Kapazitätsmechanismus, der die Bereithaltung gesicherter Kraftwerksleistung sicherstellen soll. Wie muss ein solcher Kapazitätsmarkt aus Ihrer Sicht ausgestaltet sein, dass Unternehmen bereit sein werden, in neue Kraftwerke zu investieren?
Neubaur: Der richtige Rahmen und die richtige Ausgestaltung werden entscheidend sein. Wir brauchen einen investitionssichernden Rahmen, der zugleich eine unternehmerische Ausgestaltung des Kraftwerksbetriebs zulässt. Die große Herausforderung wird sein, diesen Kapazitätsmarkt nach europarechtlichen Kriterien auszugestalten. Das ist eine hochkomplexe Aufgabe, an der bisher alle Bundesregierungen vor der aktuellen Regierung gescheitert sind. Ich bin aber optimistisch, dass die KollegInnen aus dem Bundeswirtschaftsministerium eine Verständigung mit der Europäischen Union herbeiführen werden.
energate: Im vergangenen Jahr gab es eine Debatte über einen Industriestrompreis, den Sie befürwortet haben. Inzwischen gibt es vielerorts durch die Erhöhung der Netzentgelte weitere Preissteigerungen. Welche politischen Möglichkeiten sehen Sie, gerade die Industrie bei den Energiekosten zu entlasten?
Neubaur: Es hat durchaus Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung gegeben. Dazu gehört etwa die Kompensation der EEG-Umlage sowie die Absenkung der Stromsteuer auf das europäische Mindestniveau. Aber es stimmt, dass die Wegnahme der Netzentgeltreduzierung die guten Entwicklungen des Strompreispakets aufwiegt. Klar ist: Wer die industrielle Wertschöpfung erhalten will, muss Lösungen finden, wie wir wettbewerbsfähige Energiekosten für die energieintensive Industrie erhalten. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Bundesregierung offensichtlich derzeit keinen Spielraum, da anzusetzen. Trotzdem müssen wir genau für diese Frage im Interesse der Menschen Lösungen finden.
energate: Ist das Thema Industriestrompreis damit für Sie erledigt?
Neubaur: Ich habe in vielen Diskussionen mit Mittelständlern und Dax-Konzernen rund um das Thema Brückenstrompreis gesehen, dass es nicht allein um den konkreten Preis pro kWh geht, sondern vor allem auch um Planungssicherheit und einen Investitionsrahmen. An dieser Stelle können wir ansetzen. Ich appelliere an die staatstragenden Parteien, dafür zeitnah eine Lösung zu finden, weil Unternehmen jeden Tag darüber entscheiden, ob sie hierbleiben oder weggehen.
energate: Ein Hoffnungsträger der Industrie auf dem Weg zur Dekarbonisierung ist Wasserstoff. Wie wollen Sie die Versorgung sicherstellen?
Neubaur: Wir haben uns als Nordrhein-Westfalen das Ziel gesetzt, bis 2030 Elektrolysekapazitäten zur Wasserstofferzeugung in einem Volumen von 1 GW aufzubauen. Wir haben aktuell Projekte mit 400 MW Kapazität in der Pipeline. Das macht mich zuversichtlich und zeigt, dass es im Markt ausreichend Interesse daran gibt, eine Wasserstoffversorgung aufzubauen. Aber klar ist für uns auch, dass wir langfristig Wasserstoff importieren müssen. Denn wir gehen allein für NRW bis 2050 von einem Wasserstoffbedarf von 170 TWh aus. Deswegen begleiten mich Wirtschaftsdelegationen, die von Mittelstandsvertretern bis hin zu Ferngasnetzbetreibern reichen, auf Reisen in verschiedene Länder, um Kooperationen für den Import von Wasserstoff zu vereinbaren.
Die Fragen stellten Rouben Bathke und Hannah Panzer.