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Kommt die Ausschreibungspflicht in der Fernwärme?

Frankfurt/Main (energate) - Eine mögliche Ausschreibungspflicht für Wegenutzungsrechte beschäftigt die Fernwärmebranche. Bislang haben die Energieunternehmen solche Gestattungsverträge "freihändig", also ohne vorherige Ausschreibung, mit den Kommunen geschlossen. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus Dezember 2023 zum Stuttgarter Fernwärmestreit hatte diese gängige Praxis aber zumindest infrage gestellt. Weil es in dem Fall der Stadt Stuttgart das Recht einräumte, ein wettbewerbliches Auswahlverfahren - analog zum Strom- und Gassektor - auch in der Fernwärme durchzuführen. Das gab es bislang nicht. Inwieweit das Urteil (KZR 101/20), dem ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen dem Energiekonzern EnBW und der Stadt Stuttgart vorausgegangen war, aber auch auf andere Fälle übertragbar ist, ist bisher nicht klar.

Versorger und Kommunen verunsichert

Dieser Umstand habe Versorger wie Kommunen gleichsam verunsichert, beklagte der Branchenverband AGFW. Er hat das Urteil deswegen nochmal vom Kartell- und Energierechtler Max Baumgart unter die Lupe nehmen lassen. In seinem Gutachten, das energate vorliegt, kommt er zu dem Ergebnis, dass das Urteil nicht die Rechtslage geklärt habe, sondern stattdessen mehr Fragen aufwerfe. "Der BGH hat offengelassen, ob Kommunen zur Durchführung eines Auswahlverfahrens verpflichtet sind. Soweit er eine solche Ausschreibungspflicht nahelegt, ist die rechtliche Grundlage fragwürdig und verkennt etablierte kartellrechtliche Grundsätze", kommentierte dies Baumgart in einer Mitteilung des AGFW.

"Ganze Reihe klarer Aussagen getroffen"

Energierechtsexperten, mit denen energate über das Gutachten gesprochen hat, sehen das durchaus anders. Der BGH habe in seinem Urteil vielmehr "eine ganze Reihe von klaren Aussagen getroffen", ordnete etwa die Essener Anwaltskanzlei Rosin Büdenbender im Gespräch mit energate ein. So habe der Bundesgerichtshof etwa eindeutig entschieden, unter welchen Voraussetzungen Fernwärmebetreiber nach Beendigung eines befristeten Gestattungsvertrages einen Anspruch auf Nutzungsrechte gegenüber der Gemeinde haben. Nämlich nur dann, wenn die technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten den Bau paralleler Netzinfrastrukturen erlauben.

Branche fürchtet sich vor langwierigen Auswahlverfahren

Ist dies allerdings nicht der Fall - wovon bei der Fernwärme aufgrund der Kostenintensität allerdings grundsätzlich auszugehen ist - dürfen Kommunen ein Auswahlverfahren durchführen. Damit hatte der BGH ein deutliches Zeichen für mehr Ausschreibungswettbewerb in der Fernwärme gesetzt. Der Branchenverband AGFW hatte dies schon im vergangenen Jahr sehr kritisch gesehen und sprach gegenüber energate von einem "Bärendienst" für die Energiewende. Vor dem Hintergrund des aktuellen Gutachtens wies der Verband nun nochmals auf die Problematik "langwieriger Auswahlverfahren" hin. Es lähme die Investitionsbereitschaft der Fernwärmebranche und damit auch die Wärmewende, warnte Norman Fricke, Bereichsleiter Recht & Europa beim Branchenverband AGFW.

Verband sieht sich bestätigt

Der Verband fühlt sich jedenfalls mit dem Gutachten ein Stück weit bestätigt und vertritt "nach wie vor die Rechtsauffassung, dass Wegenutzungsverträge ohne Ausschreibungsverfahren geschlossen werden dürfen", teilte er dazu mit. Auch Christoph Köberle, Rechtsanwalt der Stuttgarter Kanzlei Menold Bezler, sieht "gute Argumente für Kommunen und Fernwärmebetreiber, Wegenutzungsrechte nicht zwingend und immer ausschreiben zu müssen", sagte er gegenüber energate. Dies habe sich auch in den mündlichen Verhandlungen zum Fernwärmenetz Stuttgart vor dem BGH so angedeutet.

Es braucht mehr rechtliche Klarheit

Seiner Einschätzung nach bedarf es aber an einigen Stellen mehr rechtlicher Klarheit, entweder durch den Gesetzgeber oder das Bundeskartellamt. Zudem könne weitere Rechtsprechung - auch auf europäischer Ebene - eine Rolle spielen. So hatte etwa das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. September 2023 (Rs. C-510/22) klargestellt, dass nationale Regelungen, die eine mehrfache Verlängerung ausschließlicher Konzessionen ohne Ausschreibungsverfahren ermöglichen, gegen europäische Wettbewerbsregeln verstoßen. Es bleibe abzuwarten, ob und wie sich der deutsche Gesetzgeber und das Bundeskartellamt zu diesen komplexen Fragen positionieren werden. /ml

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