Kohleausstieg setzt Fernwärme unter Druck
Essen (energate) - Der vorgezogene Kohleausstieg setzt die Fernwärmeversorgung zusätzlich unter Druck. Denn damit entfallen bis 2038 "erhebliche Kapazitäten" an durch Kohleverbrennung erzeugter Fernwärme. Das ist eines der Ergebnisse einer Untersuchung des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) zur Zukunft der Fernwärme und den Potenzialen für gasbetriebene KWK-Anlagen. Das Ergebnis stützt auch eine Ariadne-Analyse, laut dieser müssen Fernwärmeunternehmen bundesweit rund 20 GW thermische Leistung aus der Kohleverfeuerung ersetzen.
Kohleblöcke sollen 2030 außer Betrieb gehen
Das Problem dabei ist, dass nicht in jedem Fall eine alternative, grüne Wärmeerzeugung verfügbar ist oder sich die Wärme wirtschaftlich und zu vertretbaren Preisen produzieren lässt. Das zeigt zumindest ein aktuelles Beispiel aus dem nordrhein-westfälischen Grevenbroich. Dort versorgt der Energiekonzern RWE die beiden Stadtteile Neurath und Frimmersdorf mit der Abwärme aus dem Braunkohlekraftwerk Neurath. Die Kohle stammt aus den beiden Tagebauen Garzweiler und Hambach. Zwei Blöcke (F und G) sind in dem Kraftwerk mit insgesamt 2.200 MW Leistung noch aktiv, voraussichtlich im März 2030 sollen auch diese beiden außer Betrieb gehen.
RWE rät zu Einzellösungen
RWE wird deswegen Ende 2029 die Fernwärmelieferung in den beiden Stadtteilen einstellen. An den dortigen Wärmenetzen hängen rund 500 Kunden. Diese Wärmekunden haben bereits eine schriftliche Kündigung von RWE erhalten. "Im Rahmen einer Informationsveranstaltung im Sommer 2023 haben wir unsere Kunden frühzeitig und transparent über den Sachverhalt informiert", erklärte ein RWE-Sprecher dazu auf energate-Nachfrage.Bei dieser Infoveranstaltung hatte der Energiekonzern den Wärmekunden als erste Option zum Einbau einer individuellen Heizungslösung geraten. Das Unternehmen benennt dabei explizit Wärmepumpen, Pelletheizungen oder Flüssiggas.
Anwohner gründen Verein "Pro Wärme"
Die dortigen Anwohner wollen aber an ihrer leitungsgebundenen Wärmeversorgung festhaltenund haben nun einen Verein gegründet, der sich für diese Belange einsetzt. "Es macht einfach keinen Sinn, wenn jeder für sich in eine neue Anlage investieren müsste. Das wird teuer und unwirtschaftlich", sagte Heinz-Peter Wagner, Vorsitzender des Vereins "Pro Wärme Frimmersdorf-Neurath", gegenüber der "Westdeutschen Zeitung". Zumal der Fernwärmeausbau ja auch vonseiten der Politik das bevorzugte Mittel zu Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor ist.
Die Suche nach einer künftigen Wärmequelle will der Bürgerverein mit einem starken Partner angehen, hieß es. Das könne zum Beispiel RWE als Besitzer und Betreiber des Fernwärmenetzes sein. Gespräche zwischen den beiden Parteien hat es allerdings noch nicht gegeben, wie energate auf Nachfrage erfuhr. RWE habe bislang nur aus den Medien von der Gründung des Vereins erfahren, erläuterte ein Konzernsprecher.
Region steckt im Strukturwandel
RWE hatte seinerseits schon im Sommer vergangenen Jahres zugesichert, die Möglichkeiten alternativer Wärmequellen auszuloten. Hierzu liefen zwar Sondierungsgespräche mit potenziellen Partnern, einen neuen Sachstand gebe es aber nicht. "Wir bitten um Verständnis dafür, dass die Suche nach einer belastbaren Lösung Zeit braucht", führte der Unternehmenssprecher weiter aus. Infrage kommen könnten zum Beispiel neue Betriebe, die sich in der Region im Zuge des Strukturwandels - etwa Rechenzentren - ansiedeln. Die hat auch der Bürgerverein im Blick. Unterstützung soll dabei auch von der Stadt Grevenbroich kommen, die sich vor dem Hintergrund der verpflichtenden kommunalen Wärmeplanung ohnehin mit dem Thema beschäftigen muss. Grevenbroich hat als Kommune mit rund 65.000 Einwohnern allerdings noch bis Mitte 2028 Zeit, einen entsprechenden Plan vorzulegen. Das käme für die Stadtteile Neurath und Frimmersdorf wohl zu spät.
Mehr Transparenz durch kommunale Wärmeplanung
Wie viele Fernwärmenetze mit dem Kohleausstieg vor ähnlichen Problemen wie Neurath stehen, darüber gibt es kaum Informationen. Der Branchenverband BDEW sagte dahingehend zu energate: "Wir haben keine Übersicht über die Wärmenetze, die mit Wärme aus Kohlekraftwerken gespeist werden." Generell gebe es noch keine allgemeine Übersicht über die bestehenden Wärmenetze. Der Branchenverband setzt an der Stelle viel Hoffnung auf die kommunale Wärmeplanung, die eine bessere Datengrundlage schaffen soll.
Auch die gemeinsam mit dem AGFW und dem VKU getragene Preistransparenzplattform für Fernwärme soll für mehr Datenverfügbarkeit sorgen. Diese soll nicht nur eine Übersicht über die spezifischen Preise in den verschiedenen Wärmenetzen geben, sondern auch Informationen zur Struktur der eingesetzten Energieträger. "Wir planen den Start der Plattform für Mitte Mai", kündigte eine Verbandssprecherin gegenüber energate an.
Transformation erhöht die Preise
Klar ist: Die Fernwärmeversorger bundesweit arbeiten bereits - mehr oder weniger intensiv - an Transformationsplänen für ihre Fernwärmeversorgung. Fortschritte vermeldeten dazu zuletzt unter anderem die Stadtwerke München und der Chemnitzer Versorger Eins Energie, der im Januar den letzten Kohleblock seines Heizkraftwerks abgeschaltet hatte. Dort erzeugen nun zwei neue Gasmotorenkraftwerke die Wärme. In Chemnitz ging der Fuel Switch aber auch nicht geräuschlos vonstatten. Der Versorger hatte laut lokaler Berichterstattung die Alt-Verträge gekündigt und ein neues Vertragsangebot - mit höheren Preisen und kürzeren Laufzeiten - gemacht. Das hatte Unmut und Kritik der Kunden nach sich gezogen.
Die Preisgestaltung in der Fernwärme ist und bleibt ein vielfach diskutiertes Thema in der Branche und bei Verbraucherschützern. Die Datenqualität der Preisübersicht sei bisher eher schlecht und die Preise deutlich höher als vor Beginn der Krise, hatte zuletzt der Verbraucherzentrale Bundesverband nochmals angemahnt. Von sinkenden Preisen gehen Branchenexperten mit einer immer grüner werdenden Wärme jedenfalls nicht aus. /ml