Fragezeichen beim neuen Emissionshandel nach EU-Wahl
Gerolsbach (energate) - Die Zweifel wachsen, ob nach dem Rechtsruck bei der Europawahl der geplante europäische Emissionshandel für Gebäude und Verkehr (ETS 2) pünktlich durchkommt. "Es ist fraglich, ob sich die neue EU-Kommission auf die alten Mehrheiten stützen kann oder neue Kompromisse beim Zeitplan des ETS 2 eingehen muss", sagte der Geschäftsführer von Q-Bility, Dominik Trisl, bei einem Webinar. Bereits im Wahlkampf hätten Fragen zu Migration und Wohlstandsverlusten die des Klimaschutzes in den Hintergrund gedrängt. Q-Bility betreibt eine Plattform für den Sekundärhandel von deutschen Zertifikaten im nationalen Emissionshandel (nEHS). Das Unternehmen wäre also von der Entscheidung, ob dieser später oder überhaupt abgelöst werden soll, unmittelbar betroffen.
In Deutschland gibt es derzeit noch keinen echten Handel: In diesem Jahr verkauft die beauftragte Börse EEX die CO2-Zertifikate zu einem Festpreis von 45 Euro. Bei Fehlmengen oder Überschüssen können die Unternehmen jedoch untereinander handeln. Mit den nach mehreren Preisschritten inzwischen gültigen 45 Euro pro Tonne CO2 findet sich Deutschland derzeit im Mittelfeld zwischen den Spitzenreitern Dänemark und Norwegen (76 bzw. 80 Euro) und beispielsweise Spanien mit nur 15 Euro. Aber es gibt auch Länder, die noch gar keine CO2-Steuer, Abgabe oder einen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr eingeführt haben, allen voran Italien. Und die rechtsgerichtete Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist aus den EU-Wahlen eher gestärkt hervorgegangen. Ihr Interesse, einen CO2-Preis einzuführen, in welcher Höhe auch immer, sei wohl gering, gab Trisl zu bedenken.
Warten auf TEHG-Novelle
Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. CDU-Europaparlamentarier Peter Liese warnte bereits kurz nach der Wahl: "Ich glaube, das Gesetz, wofür wir in der nächsten Legislaturperiode am meisten kämpfen müssen, ist der ETS 2." Aber nicht nur in Italien oder Frankreich bröckelt die Zustimmung zu Klimaschutzmaßnahmen, die die Bevölkerung Geld kosten. Das zeigt das geschrumpfte Europa-Wahlergebnis der Grünen.
Bereits im Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen wurde die Ablösung des gültigen Brennstoffemissionshandelsgesetzes und die Einführung des ETS 2 "eher weich und vage formuliert", wie es Trisl ausdrückte. Das Klimageld zur Kompensation der Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger für steigende Benzin-, Heizöl- und Gaspreise wurde auf Druck des Finanzministers Christian Lindner (FDP) auf die nächste Legislaturperiode verschoben. Und die Novelle des Treibhausgasemissionshandelsgesetzes, das die zentralen Bausteine des ETS 2 in nationales Recht übersetzt, lässt weiterhin auf sich warten. Frist war eigentlich der 31. Dezember 2023. Neben Deutschland haben noch 25 weitere Mitgliedsstaaten diese gerissen, erläuterte Trisl. Auf energate-Nachfrage konnte das für den Emissionshandel zuständige Umweltbundesamt noch keinen Zeitpunkt für die Novelle nennen. "Da können wir leider keine Prognosen abgeben", so eine Sprecherin.
Preisrisiken steigen
Die CO2-Preisrisiken sind in den Augen von Q-Bility nicht zu unterschätzen - je nachdem ob, wann oder in welcher Form der nationale Emissionshandel abgelöst wird. Bisher waren die Festpreise für Gaslieferanten oder Mineralölhändler immer gut kalkulierbar, auch noch für das nächste Jahr, wo der Preis nochmal um 10 Euro auf 55 Euro pro Tonne CO2 ansteigen soll. Ab 2026 greift dann erstmals ein "Handel light" innerhalb eines festen Preiskorridors von 55 bis 65 Euro, bis dann 2027 der europäische Handel zwar ohne Korridor, aber zunächst mit Marktstabilitätsreserve folgt, die ab 45 Euro für Zertifikatsausschüttungen sorgt.
Für Erdgaskunden bezifferte Trisl die Mehrbelastung 2025 auf 1,10 Cent/kWh brutto (55 Euro CO2-Preis), 2026 dank Korridor zwischen 1,19 und 1,40 Cent/kWh. Ab 2027 gilt dann im EU-Handel weitgehend freie Preisbildung. Somit sei ein Abrutschen auf beispielsweise nur 30 Euro pro Tonne CO2 ebenso denkbar wie eine deutlich höhere Zahl von 85 Euro, der Mittelwert aus dem gültigen ETS 1 für Energiewirtschaft und Industrie. Damit würde aber letzten Endes die Belastung für Erdgaskunden zwischen 0,58 und 1,84 Cent/kWh schwanken. Bei Heizöl (9,55 bis 27,07 Cent/Liter) und Benzin (8,55 bis 24,20 Cent/Liter) wären die Belastungen nochmal höher, rechnete Trisl vor.
Für die künftigen unterjährigen Preisschwankungen wäre somit eine Absicherung (Hedging) erforderlich. Denn CO2 ist dann keine Abgabe mehr, sondern ein handelbarer Rohstoff auch im Gebäudebereich. Damit würden auch Sonderkündigungsrechte gemäß § 41 Abs. 5 EnWG an Raum gewinnen, gab der Q-Bility-Geschäftsführer zu bedenken. /mt
Weitere Hintergrundinformationen zum EU-ETS 2 finden Sie im heutigen Add-on Gas & Wärme.