Enervie denkt über großes "H2-ready"-Gaskraftwerk nach
Hagen (energate) - Der Hagener Kommunalversorger Enervie will ein großes wasserstofffähiges Gaskraftwerk bauen. Angedacht ist eine Anlage mit bis zu 500 MW, kündigte Vorstandssprecher Erik Höhne bei der Vorstellung der jüngsten Konzernbilanz für das Geschäftsjahr 2023 an. "Wir haben das Know-how und die Standorte dafür", sagte Höhne. Ob es tatsächlich dazu kommt, hängt aber von vielen offenen Fragen ab, stellte er klar.
Entscheidend sei, wie das Förderregime und speziell ein möglicher Investitionszuschuss im Rahmen der Kraftwerksstrategie des Bundes ausgestaltet werde, sagte der Vorstandssprecher zu energate. "Das schauen wir uns sehr genau an." Ebenfalls wichtig sei die Ausgestaltung des angekündigten Kapazitätsmarkts zum Betrieb dieser Kraftwerke. Überdies hegt Enervie Gedankenspiele, die GuD-Anlage der Betreibertochter Mark-E am Standort Herdecke perspektivisch umzurüsten, so Höhne. Das allerdings sei Zukunftsmusik, zumal der Wasserstoff aktuell nicht wirklich verfügbar sei. Für konkrete Pläne zur Umrüstung der GuD-Anlage mit 417 MW sei es zu früh.
Jenseits dieser Kraftwerkspläne sieht sich Enervie gut auf den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft vorbereitet, wie der für die Netze zuständige Vorstand Volker Neumann deutlich machte. Stand heute sei das Gasverteilnetz der Südwestfalen zu 88 Prozent wasserstofffähig und benötige lediglich noch vergleichsweise kleine Eingriffe, dies noch zu steigern.
Gasverteilnetz wird absehbar deutlich schrumpfen
Weil allerdings Wasserstoff laut der Pläne der Bundesregierung vor allem für die Industrie sowie im energieintensiven Gewerbe zum Einsatz kommen werde und nicht zur Versorgung von Privathaushalten, geht Enervie davon aus, das Gasverteilnetz im Niederdruckbereich in Zukunft um bis zu 25 Prozent zurückbauen zu müssen, so Neumann. Bevor es allerdings zu solchen Maßnahmen komme, stehe die Ertüchtigung des Stromverteilnetzes an, um Wärmepumpengebiete entstehen zu lassen, betonte er. Zugleich warb er dafür, Wasserstoff nicht kategorisch für die Wärmeversorgung von Haushalten auszuschließen. Es gebe durchaus Gebäude mit großem Heizbedarf, für die Wasserstoff denkbar sei, so Neumann. Dieser Standpunkt passt zum "Transformationspfad Gas" der Verbände BDEW, DVGW und Zukunft Gas. Umweltverbände sehen dies wiederum kritisch.
Gaskraftwerk beschert Enervie Gewinnsprung
Das Geschäftsjahr 2023 schloss Enervie trotz wachsender Herausforderungen im Vertrieb mit einem deutlichen Gewinnsprung ab. Dafür sorgte in erster Linie die Vermarktung des Gaskraftwerks in Herdecke, wie Höhne erklärte. Der Energiehandel profitierte vom hohen Preisniveau und der großen Volatilität, die über das gesamte Jahr 2023 an den Strombörsen vorherrschten. Vor diesem Hintergrund erzielte Enervie mit knapp 68 Mio. Euro rund 27 Prozent mehr Gewinn vor Steuern (EBT) als im Vorjahr. Diese Ertragssituation werde aller Voraussicht nach einmalig bleiben. Gleichwohl werde das Kraftwerk auch im laufenden Jahr "auskömmliche Erträge" erwirtschaften.
Preisniveau an Energiebörsen erhöht Wettbewerbsdruck
Der Strom- und Gasabsatz lag 2023 deutlich unter dem Vorjahresniveau. Einen Teil dieser Entwicklung führte das Management auf den massiv gewachsenen Wettbewerbsdruck im Vertrieb zurück. Dieser habe mit den sinkenden Großhandelspreisen eingesetzt. Letzteres brachte Energiediscounter zurück in den Markt. Für "alle, die langfristig und risikoavers beschafft haben", sei diese Konkurrenz mit dem neuen Preisniveau eine große Herausforderung, stellte Höhne klar. "Wir gehen davon aus, dass sich die Lage bis 2025 nicht entspannen wird."
Als aussichtsreiches Zukunftsfeld, das sich Enervie im Endkundenvertrieb erschließen will, nannte Höhne Balkon-PV-Module. Einige Hoffnung verbindet der Kommunalversorger auch mit einer Kooperation zwischen Enervie und zwei Sparkassen in der Region. Somit sei Enervie in der Lage, PV-Dachanlagen mitsamt Finanzierung anzubieten, führte er aus.
KI-gestützte Vermarktung von Pumpspeicher-Flexibilität
Jenseits dessen arbeitet das Unternehmen an verschiedenen Zukunftsthemen. So strebt Enervie im Zusammenhang mit dem 140-MW-Pumpspeicher am Standort Finnentrop-Rönkhausen den Einstieg ins sogenannte Algotrading an. Vom Einsatz KI-gestützter Tradingsoftware erhoffen sich die Südwestfalen, effizient und gewinnbringend Flexibilitäten der Anlage vermarkten zu können. Darüber hinaus will sich der Versorger bei dem großen Transformationsthema kommunale Wärmeplanung als Dienstleister für Städte und Gemeinden positionieren. Konkrete Aufträge in diesem Segment gebe es allerdings noch keine. /pa