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"Der ungesteuerte Zubau bringt das System an seine Grenzen"

Essen (energate) - Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hat bei seinem energate-Besuch der Redaktion zu sämtlichen Themen rund um die Regulierung des Energiemarkts Rede und Antwort gestanden. So äußerte sich der Behördenchef etwa zu den Fortschritten beim Wasserstoff-Kernnetz oder zu den Herausforderungen bei der Reform der Industrienetzentgelte. Zugleich sprach er auch eine klare Warnung bezüglich der mittäglichen Einspeisespitzen durch die Solarenergie aus. 

 

energate: Herr Müller, die Energiewirtschaft wartet auf zahlreiche wegweisende Weichenstellungen der Bundesnetzagentur. Wie sieht Ihre aktuelle Agenda aus? 

 

Müller: Es gibt fünf Prozesse, die die nächsten Monate prägen werden. Veröffentlicht haben wir die Reform der Netzentgelte im Hinblick auf die EE-getriebenen Netzkosten. Sie ist pünktlich für die Netzentgeltberechnung fertig, damit die neuen Entgelte zum 1. Januar 2025 greifen können. Damit ermöglichen wir mehr Fairness bei den regionalen Netzkosten. Auch beim Wasserstoff-Kernnetz sind wir gut im Plan. Nahezu sämtliche Festlegungen sind verabschiedet. Unser Ziel ist, Ende September die Genehmigung zum Aufbau des Wasserstoff-Kernnetzes zu erteilen und wir sind bereits in den gemeinsamen Szenariorahmen für Strom, Gas und Wasserstoff für die weitere Netzplanung gestartet. 

 

Anspruchsvoll gestaltet sich das Thema Stromnetzausbau. Der Bundesrechnungshof hat im Frühjahr mit dem Sonderbericht zur Energiewende die Beschleunigung des Ausbaus angemahnt. Doch der Bericht spiegelt nicht wider, was wir inzwischen erreicht haben. Wir sind von durchschnittlich sechs Jahren Genehmigungszeit auf drei bis vier Jahre herunter. Das ist nicht ganz die Halbierung, die im Koalitionsvertrag postuliert wurde. Aber es ist eine starke Kraftanstrengung aller Beteiligten. 

 

Dazu kommen noch zwei aufwendige Verfahren: Zum einen der NEST-Prozess, also die Methodik für die Regulierung der Verteilnetzbetreiber und Gasfernleitungsnetzbetreiber. Hier planen wir, im vierten Quartal erste Festlegungsentwürfe vorzulegen, unter anderem zur Ausgestaltung des künftigen Regulierungssystems und zur Bestimmung der Kosten im Ausgangsniveau. Weit vorangeschritten sind hier schon die Arbeiten an der Festlegung KANU 2.0, mit der Gasnetzbetreiber die Möglichkeit bekommen sollen, ihre Netze beschleunigt abzuschreiben. Damit ist KANU 2.0 ein wichtiger Baustein für die Transformation der Gasnetze und kann sich schon für die Entgeltbildung im Jahr 2025 auswirken. 

 

Die wahrscheinlich kontroverseste Festlegung wird allerdings die Nachfolgeregelung für die individuellen Netzentgelte nach § 19 Absatz 2 StromNEV. Wir haben einen ersten Fragenkatalog vorgelegt. Auf der Basis folgt möglichst noch in diesem Jahr ein erster Festlegungsentwurf. 

 

energate: Sie sprechen von der schwierigsten Aufgabe. Die Notwendigkeit der Flexibilisierung des Stromverbrauchs sollte inzwischen aber doch Konsens sein. 

 

Müller: Das mag man meinen, dem ist aber längst nicht überall so. Es zeichnet sich ab, dass es drei Interessengruppen gibt: Zunächst Unternehmen, die ihre Prozesse heute schon flexibilisieren können, darin ein Geschäftsmodell sehen und auf eine schnelle Reform drängen. Die zweite Gruppe steht dem Prozess positiv gegenüber, erbittet sich aber möglichst viel Zeit für die Umstellung. Und es gibt eine dritte Gruppe, die eine Flexibilisierung aus technischen Gründen nicht umsetzen kann und Änderungen ablehnt. Diese Heterogenität der Industrie müssen wir in den Blick nehmen. Zugleich stellen wir uns auf kontroverse Diskussionen ein. 

 

energate: Deutlich weiter sind Sie bei der Wälzung der regionalen Netzentgelte. Ein Problem, das sich politisch lange nicht lösen ließ. 

 

Müller: Die Regionen, die den größten Teil der Kosten tragen, waren numerisch immer unterlegen. Daher hat es dafür keine politische Lösung gegeben. Diese Reform ist nun aber fertig. Wir rechnen mit einer spürbaren Entlastung der Netzentgelte in den betroffenen Regionen. Worauf diese Regulierung aber keine Antwort gibt, ist die Frage, wie wir mit Solarspitzen umgehen. Hier haben wir eine handfeste Herausforderung. 

 

energate: Inwiefern? 

 

Müller: Es war immer absehbar, dass der Ausbau und der Betrieb der erneuerbaren Energien ab einem Anteil von über 50 Prozent gesteuert werden müssen. Der hohe Solarstromanteil im Markt auch in Zeiten fehlender Nachfrage ist eine Herausforderung. Deshalb muss die EnWG-Novelle im Herbst darauf reagieren. Der Zubau der Solarenergie schreitet merklich voran. Um Stress im System zu vermeiden, dürfen wir in dieser Frage keine Zeit verlieren. 

 

energate: Sie haben also Sorge vor einer drohenden Überlastung der Netze? 

 

Müller: Die Überlastung der Netze ist nicht das alleinige Problem. Dafür gibt es schon Lösungsstrategien. Bei dem schnellen Zubau ungesteuerter und nachfrageunabhängig geförderter Energie kann dagegen das Marktsystem an seine Grenzen stoßen. Wir wollen kritische Situationen vermeiden. Deshalb sind wir gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium dabei, Lösungen zu erarbeiten. Das wird nicht die eine große Lösung sein, sondern ein Strauß an Maßnahmen, der sich hoffentlich in der nächsten EnWG-Novelle im Herbst wiederfinden wird. 

 

energate: Auf der Zielgeraden befindet sich inzwischen das Wasserstoff-Kernnetz. Wird es bei Ihrer finalen Festlegung nochmals Änderungen geben? 

 

Müller: Unsere Entscheidung wird nach derzeitigem Stand recht nahe am vorgelegten Plan mit einer Länge von knapp 10.000 Kilometern sein. Es gibt unter anderem noch eine Diskussion über eine Leitung in Mecklenburg-Vorpommern, die in den vorangegangenen Plänen der Netzbetreiber noch enthalten war, im finalen Antrag aber nicht mehr. Hierüber laufen noch Gespräche. Insgesamt sind wir mit dem Prozess zum Wasserstoff-Kernnetz aber recht zufrieden. Deutschland wird nach Belgien und den Niederlanden als drittes Land in Europa ein Wasserstoffnetz aufbauen. Das ist eine gute Botschaft. 

 

energate: Das Kernnetz enthält allerdings noch Leerstellen. Die eine ist eine geografische: Es gibt Regionen, die sich im Wasserstoff-Kernnetz nicht ausreichend berücksichtigt sehen. 

 

Müller: Der Süden wünscht sich mehr Leitungen. Aber das hängt natürlich stark damit zusammen, welche Eingangsparameter beispielsweise bezüglich des regionalen Wasserstoffbedarfs bei den planungsverantwortlichen Fernleitungsnetzbetreibern eingereicht wurden. Ich werde nicht müde zu betonen, dass das jetzige Wasserstoff-Kernnetz nur der Anfang ist. Im Rahmen des Netzentwicklungsplans werden wir die bisherige Planung fortschreiben und das Wasserstoffnetz weiter ausdifferenzieren. Damit werden wir auch die Süddebatte auffangen. 

 

energate: Die zweite Leerstelle sieht man bei den Projektverantwortlichen, nicht hinter jeder Leitung steht ein verantwortliches Unternehmen. 

 

Müller: Das hat offenbar den einen oder anderen überrascht, uns allerdings nicht. Es gab im Prozess deutlich zu vernehmende Kritik einzelner Netzbetreiber. Insofern kann es auch nicht überraschend sein, dass die Gremien einzelner Netzbetreiber bei der Umsetzung der Projekte jetzt zunächst zurückhaltend sind. Wir stehen aber noch ganz am Anfang, die Zeit wird das rechtzeitig heilen. 

 

energate: Die Ausgestaltung des Wasserstoffnetzes ist verknüpft mit den künftigen Standorten von Wasserstoffkraftwerken. Im kommenden Jahr sollen erste Ausschreibungen im Rahmen der Kraftwerksstrategie starten. Ist Ihre Behörde dafür gewappnet?

 

Müller: Wir haben mit Ausschreibungen viel Erfahrung, daher sind wir gut vorbereitet. Je schneller nun der rechtliche Rahmen klar ist, desto zügiger können wir in die Umsetzung gehen. 

 

energate: Im Klima- und Transformationsfonds, aus dem sich die Kraftwerksstrategie finanzieren soll, fehlen zum aktuellen Stand die längerfristigen Mittel. Bereitet Ihnen das Sorge? 

 

Müller: Nein, die Mittel werden ja nicht unmittelbar nach den Ausschreibungen abgerufen, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt. Daher bin ich in dem Punkt entspannt. 

 

energate: Das heißt, Sie rechnen definitiv im kommenden Jahr mit den ersten Ausschreibungen? 

 

Müller: Ja, aus Gründen der Versorgungssicherheit ist das auch absolut zwingend. 

 

energate: Ein Thema, das auf Sie noch zukommen könnte, ist die Regulierung der Fernwärme. Wie stehen Sie dazu? 

 

Müller: Aus Verbraucherschutzsicht ist nachvollziehbar, dass bei der Fernwärme Handlungsbedarf besteht. Es gibt dazu aber kein politisches Mandat und ein solches ist vorerst auch nicht absehbar. Unsere Botschaft dazu wäre auch sehr eindeutig: Wir sind mindestens in den kommenden zweieinhalb Jahren gut ausgelastet und könnten eine solche Aufgabe derzeit nicht übernehmen. 

 

energate: Eine Notwendigkeit, bei der Fernwärme regulatorisch tätig zu werden, sehen Sie aber schon? 

 

Müller: Wir sehen immer wieder Fälle, die zeigen, dass das bisherige Modell nicht vollends funktioniert. Ich würde der Branche daher empfehlen, jetzt am Rahmen einer sinnvollen Regulierung mitzuwirken und sich nicht zu verschließen. Allen sollte aber klar sein, dass eine Regulierung - insbesondere eine Ex-ante-Regulierung - der Fernwärme extrem komplex werden dürfte. Ein einheitliches Fernwärmenetz gibt es nicht. Durchdachte Konzepte zur Regulierung der Fernwärme sind mir bislang nicht bekannt, da stehen wir noch ganz am Anfang einer konzeptionellen Diskussion.

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