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Der Speicherboom steht noch vor zahlreichen Herausforderungen

Essen (energate) - Der Batteriehochlauf ist in vollem Gange. Kaum eine Woche vergeht, in der kein neuer Großspeicher in Deutschland angekündigt wird. Diese Woche gab es Neuigkeiten zu dem 100-MW-Großspeicher im bayrischen Arzberg. So übernimmt die Vermarktung des Großbatteriespeichers zu 50 Prozent der Softwarespezialist Entrix aus München, die andere Hälfte übernimmt der Flexibilitätsvermarkter Enspired aus Österreich. Entrix wolle "den Einsatz auf den Energiemärkten optimieren und damit das wirtschaftliche Potenzial des Speichers voll ausschöpfen", hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens.

 

So werde Entrix künstliche Intelligenz und Algorithmen einsetzen, um den Speicher effizient auf allen relevanten Energiemärkten zu handeln. Darunter falle der Primär- und Sekundärregelleistungsmarkt sowie der Day-Ahead- und Intraday-Großhandelsmarkt, erklärte das Münchener Unternehmen. Der Großspeicher wird also marktlich betrieben und dient ausschließlich dem Zweck der Gewinnoptimierung. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, jedoch häufen sich Stimmen, die eine netzdienlichere Fahrweise der Speicher fordern. Denn obwohl Batteriespeicher als unerlässlich für die Energiewende gelten, schaden sie dem Netz derzeit häufiger als sie nutzen.

 

Batteriespeicher aktuell nicht netzdienlich

 

"Nach aktuellen Geschäftsmodellen wie Regelleistung oder Arbitrage-Handel an der Strombörse minimieren Batteriespeicher den lokalen Netzausbau nicht, sondern können ihn unter Umständen erhöhen", erklärte etwa ein Sprecher des norddeutschen Verteilnetzbetreibers EWE Netz gegenüber energate. Das Unternehmen beobachte in der Praxis, dass Speicher aufgrund der fehlenden Anreize nicht auf Netzdienlichkeit optimiert werden. Damit bleibe das Potenzial zur Reduzierung von Engpässen mithilfe von Speichern weitgehend ungenutzt. Im Gegenteil könnten die Batteriespeicher "sogar zu Engpassverschärfungen führen", so der Sprecher weiter. EWE Netz wirbt daher dafür, in der regulatorischen Rahmensetzung Anreize für eine netzdienliche Betriebsweise zu setzen.

 

Baukostenzuschüsse ohne technische Lenkungswirkung

 

Die für den regulatorischen Rahmen zuständige Bundesnetzagentur setzt bei der netzdienlichen Fahrweise der Speicher insbesondere auf finanzielle Anreize über Baukostenzuschüsse. Dabei hat sie jedoch nicht die Fahrweise per se im Blick, sondern kämpft mithilfe der Baukostenzuschüsse vor allem gegen überdimensionierte Netzanschlüsse und Netzausbaukosten. Seitens der Verteilnetzbetreiber reichen diese Lokalisierungssignale nicht aus, um das Problem der nicht netzdienlichen Fahrweise zu lösen. So begrüßt die norddeutsche Eon-Tochter Avacon "grundsätzlich jede Initiative", die darauf abzielt, "die Netzstabilität zu fördern und gleichzeitig die finanziellen Anreize für Projekte zu optimieren". Jedoch stelle sich bei den Baukostenzuschüssen die Frage, "wie präzise und effizient die Messbarkeit von netzdienlichem Verhalten umgesetzt werden kann", so eine Avacon-Sprecherin zu energate. Auch EWE Netz verwies darauf, dass ein finanzieller Anreiz nur dann eine Lenkungswirkung entfalten könne, wenn er mit klaren technischen Anforderungen und einer stringenten Kontrolle kombiniert werde.

 

Amprion-CTO warnt: Es drohen Zustände wie beim PV-Ausbau

 

Auch Amprion-CTO Hendrik Neumann verwies auf einer Tagung am 12. März auf fehlende finanzielle Anreize, Batteriespeicher dort zu verorten, wo sie dem Netz und dem System "wirklich helfen". Er sah dahingehend großen Nachholbedarf und "eine Menge zu tun". Andernfalls käme der Batterieboom in eine Situation, die dem ungebremsten und unkontrollierten PV-Ausbau ähnele. Dieser könne "nur schwer kontrolliert, koordiniert und gesteuert werden". Deshalb sei es jetzt unerlässlich, die richtigen Anreize zu setzen, um am Ende "nicht in diese Sackgasse zu laufen".

 

Anfragen nehmen zu - werden aber nicht umgesetzt

 

Die Warnung Neumanns ist begründet. Seinen Aussagen zufolge liegen allein den vier Übertragungsnetzbetreibern Netzanschlussanfragen für Speicherkapazitäten in Höhe von 220.000 MW vor. Bei den Verteilnetzbetreibern sieht es ähnlich aus. So verzeichnet EWE Netz eine "obere dreistellige Zahl an Anschlussanfragen" in ihrem Netzgebiet mit mindestens zehn Megawatt Leistung. Allein seit Beginn des Jahres hätte der Verteilnetzbetreiber über 200 Anfragen von Speicherprojekten in dieser Größenordnung erhalten.

 

Angaben, die in dieser Menge auch bei Avacon auftreten. Zwischen 2022 und 2024 habe das Unternehmen über 1.100 Anfragen mit einer Gesamtleistung von mehr als 75.000 MW erhalten. In der Gegenwart seien "mehrere Hundert Anfragen in Bearbeitung", so die Sprecherin weiter. Doch nicht nur in Norddeutschland kommen zahlreiche Anfragen auf die Netzbetreiber zu. Auch beim bayrischen Verteilnetzbetreiber Bayernwerk Netz gingen seit Anfang 2024 rund 600 Netzanschlussanfragen für Großspeicher ein, wie ein Sprecher erklärte. 

 

Netzanschlussanfragen oft unseriös

 

Die Zahlen zeigen: Im deutschen Großspeichermarkt ist eine Art "Goldgräberstimmung" ausgebrochen, wie es Urban Windelen, Geschäftsführer des Bundesverbands Energiespeicher Systeme, gegenüber energate ausdrückte. Insbesondere die Netzanschlüsse stellen dabei jedoch "das größte Bottleneck" im Speichermarkt dar, so Thomas Antonioli, Gründer und CFO des Start-ups Terra One, im Interview mit energate.

 

Bei EWE Netz beispielsweise können gerade einmal zehn Prozent der Anfragen über mehr als zehn MW bereits eine sogenannte Planungsreife nachweisen und verfügen über eine Baugenehmigung. Beim Rest stelle sich die Situation anders dar: "Fehlende Genehmigungen, unvollständige Unterlagen oder eine nicht gesicherte Finanzierung führen vermutlich dazu, dass zahlreiche Anfragen zwar gestellt, aber später nicht umgesetzt werden", so das Urteil des EWE-Netz-Sprechers.

 

Bayernwerk Netz geht sogar noch einen Schritt weiter. Um sich vor unseriösen Anfragen zu schützen, muss seit dem 1. Januar 2025 mit jeder Anmeldung ein Nachweis der Planungsreife für ein Speichervorhaben vorgelegt werden. Nur so werde für den Netzbetreiber deutlich, dass eine Speicheranfrage auch mit konkreten Maßnahmen verbunden und ein Realisierungswunsch klar erkennbar ist, erklärte das Unternehmen gegenüber energate. Bislang seien in 70 Prozent der eingereichten Speicheranfragen keine konkreten Planungsunterlagen eingegangen, hieß es weiter. 

 

Handel mit Netzanschlüssen?

 

Aus Branchenkreisen war von verschiedenen Marktteilnehmern zu hören, dass mittlerweile ein regelrechter Handel mit Netzanschlüssen begonnen habe. Ziel vieler Anfragen sei es demzufolge, einen Netzanschluss zu "ergattern" und anschließend gewinnbringend an "ernsthafte" Projektierer weiterzugeben. Der Netzbetreiber Trave Netz aus Lübeck wollte diese Praxis zwar nicht bestätigen, gab jedoch auf Anfrage bekannt, "davon gehört" zu haben. Avacon hingegen lägen keine "spezifischen Informationen vor", das Unternehmen beobachte jedoch einen grundlegenden Anstieg der Netzanschlussanfragen.

 

Bayernwerk Netze allerdings bestätigte die Gerüchte gegenüber energate. "Uns ist in einigen Fällen bekannt, dass konkrete Speicherprojekte auch veräußert werden. Die Entscheidung über die Veräußerung eines Speicherprojektes liegt dabei beim Anschlussnehmer, nicht jedoch beim Netzbetreiber", hieß es aus Bayern. Der Stadtwerkeverbund Trianel, der selbst Speicher projektiert und betreibt, erklärte auf Nachfrage, von einem Handel mit Netzanschlüssen nichts zu wissen. Das Unternehmen gab außerdem an, pro Batteriespeicherprojekt nur eine Netzanschlussanfrage zu stellen. /rh

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