Branche uneins bei Elektrolyse-Ausbauzielen
Berlin (energate) - In der Energiewirtschaft sorgt die Idee, die geplanten Elektrolyse-Kapazitäten bis 2045 von 50 GW auf 10 GW herabzusetzen, für gemischte Reaktionen. Zwar zweifelt keiner der Branchenvertreter, mit denen energate gesprochen hat, die Notwendigkeit einer heimischen Wasserstoff-Produktion an. Allerdings geben sich vor allem zwei große Unternehmen offen für eine tatsächliche Korrektur der Ausbauziele. Hintergrund der Diskussion ist eine Studie von Aurora Energy im Auftrag von EnBW. Dort wird eine Reduzierung der Elektrolysekapazitäten vorgeschlagen. In Folge würde der PV- und Netzausbaubedarf sinken und so insgesamt die Energiewende kosteneffizienter werden.
Es braucht passende regulatorische Rahmenbedingungen, hierüber sind sich Energieversorger, Lobbyisten und Wissenschaftler einig, wenn es um die Frage nach einem Rezept für den zähen Wasserstoffhochlauf in Deutschland geht. Weniger homogen fallen die Einschätzungen zum Zielkorridor für eine heimische Produktion aus: EWE hält beispielsweise die von Aurora Energy vorgeschlagene deutliche Reduktion des Ausbaus der erneuerbaren Energien und Wasserstoffkapazitäten für ein "deutlich falsches Signal - sowohl gegenüber der Industrie als auch gegenüber Investoren."
Der Oldenburger Regionalversorger betonte, die Wirtschaftlichkeit einer heimischen Erzeugung würde insbesondere auch vom Erneuerbarenzubau abhängen. Die Studie drehe genau diese Kausalität um und mache in der Folge die heimische Erzeugung von Wasserstoff unattraktiver. Dabei gebe es insbesondere für die systemisch integrierten Elektrolyseure an strategisch wichtigen Stromstandorten einen deutlichen Kostenvorteil. Hier könnten beispielsweise auch abgeregelte Strommengen genutzt und die Kosten so reduziert werden. "Die Studie bildet diesen Sachverhalt unseres Erachtens aber nicht ausreichend ab. So werden eben keine Kostenpotenziale gehoben und damit keine Konkurrenzfähigkeit gegenüber Importmengen erreicht", monierte EWE.
Immer noch Diskussion um Farbenlehre
Offener gegenüber einer Absenkung des H2-Ausbauziels geben sich der Verband "Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft" sowie RWE und Eon. "Ausbauziele allein sorgen weder für Planungssicherheit, noch treiben sie den Markthochlauf voran", erklärte ein Sprecher von RWE. Das sehe man daran, dass Deutschland beim Bau von Elektrolyseuren deutlich hinter seinen gesetzten Zielen zurück liege: Bis Dezember 2024 wurden lediglich Investitionsentscheidungen für knapp über 1 GW getätigt. Das Ziel lautet 10 GW bis 2030. "Daher ist nicht die Frage entscheidend, ob ein Ziel angepasst wird, sondern ob die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass Projekte tatsächlich realisiert werden können", betonte Timm Kehler, Vorstand von "Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft". Aus seiner Sicht brauche es hierfür einen klug austarierten Mix aus PV, Wind, flexiblem Gaskraftwerkspark, Wasserstoff - auch blauer Herkunft - und tragfähiger Infrastruktur. "Es geht nicht um ein Entweder-Oder, sondern um das richtige Zusammenspiel", betonte der Verbandschef.
Auch RWE und Eon befürworten in einem jüngst veröffentlichten Positionspapier den Einsatz von blauem H2. Demnach sollte es keine Unterscheidung zwischen den Arten des kohlenstoffarmen Wasserstoffs geben. Vor allem blauer Wasserstoff sollte hier aufgrund seiner preislichen Vorteile eine angemessene Rolle erhalten, heißt es in dem gemeinsamen Papier. Die Studie von Aurora Energy geht davon aus, dass etwa 40 Mrd. Euro eingespart werden, wenn grüner durch blauen, importierten Wasserstoff ersetzt würde.
Genau das sieht EWE kritisch, denn die Verteilung der Importmengen brauche weiterhin eine heimische Infrastruktur. Diese Infrastruktur werde in ihrer ersten Phase insbesondere durch heimische Erzeugungsprojekte versorgt. "Durch einen reduzierten Ausbau von heimischen Wasserstoffprojekten besteht also das Risiko, dass sich der gesamte Hochlauf verzögert und sich die Auslastung des Kernnetzes in den Anfangsjahren unterhalb der Prognosen bewegt. Für die Unternehmen und Investoren ist das kein gutes Signal", so das Oldenburger Unternehmen.
Grüne Leitmärkte stärken
Welche konkreten Maßnahmen es für die Auslastung des H2-Kernnetzes und einen heimischen Hochlauf braucht, treibt auch Agora Industrie unabhängig von der Aurora-Studie um. Für viele Anwender sei klimaneutraler Wasserstoff noch zu teuer, so Mathias Koch, Projektmanager Deutsche Wasserstoffpolitik bei Agora Industrie, gegenüber energate. Dabei komme es jetzt entscheidend auf die Nachfrage an. Wenn die hierfür nötigen Finanzmittel zur Verfügung gestellt würden, könnten zeitnah erste große Lieferverträge zustande kommen. Zu den konkreten Maßnahmen zählten die im Koalitionsvertrag genannten Klimaschutzverträge für die Industrie und eine klar auf Wasserstoff ausgerichtete Kraftwerksstrategie.
Eine für den Wasserstoffhochlauf noch viel zu wenig ausgespielte Karte seien zudem grüne Leitmärkte, ergänzte Koch: "Wir wissen zum Beispiel, dass aus grünem Wasserstoff hergestellter Stahl ein Auto nur um etwa ein Prozent verteuert. Wenn Stahl- und Automobilhersteller diese geringen Mehrkosten an ihre Kunden weitergeben können, erlaubt ihnen das, in die klimafreundliche Produktion mit Wasserstoff einzusteigen." Dazu brauche es aber konkrete Politikinstrumente, zum Beispiel Standards für grüne Produkte und eine auf nachhaltige Produkte ausgerichtete grüne Beschaffung. Auch RWE und Eon plädieren für grüne Leitmärkte sowie Grüngasquoten.
Timm Kehler verweist abschließend noch einmal auf die Bedeutung einer heimischen Produktion. "Inländisch produzierter Wasserstoff ist mehr als ein Preisetikett - er ist ein strategisches Asset. Er bietet Resilienz, schafft Arbeitsplätze, sichert Technologiekompetenz und macht uns weniger anfällig für geopolitische Verwerfungen. Wir brauchen deshalb beides: wirtschaftlich sinnvolle Importe und eine verlässliche, ambitionierte heimische Erzeugung“, so der Chef von „Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft." /lm