BGH-Urteil enttäuscht Juristen und Netzbetreiber
Karlsruhe (energate) - Die Verteilnetzbetreiber müssen vor dem Bundesgerichtshof (BGH) eine erneute Niederlage gegen die Bundesnetzagentur einstecken. Der von der Behörde festgelegte Eigenkapitalzinssatz hat Bestand. Die ersten Reaktionen von Juristen und Netzunternehmen, mit denen energate gesprochen hat, reichen von "bitter", "enttäuschend, aber keine große Überraschung" bis hin zu verhaltenem Optimismus, dass sich doch noch höhere Renditen ergeben könnten.
Kurz nach der mündlichen Verhandlung am 17. Dezember hob das oberste Gericht den Beschluss des Oberlandesgerichtes (OLG) Düsseldorf vom August 2023 auf. Damit muss die Bonner Regulierungsbehörde die aktuell geltenden Zinssätze von 5,07 Prozent für Neuanlagen und 3,51 Prozent für Altanlagen nicht neu ermitteln. Insgesamt 900 Netzbetreiber hatten sich in 14 Musterverfahren gegen die Absenkung der Zinssätze gewehrt, die gegenüber der dritten Regulierungsperiode 1,84 beziehungsweise 1,61 Prozentpunkte ausmachte. Es geht hier um viel Geld, ein Prozentpunkt steht grob vereinfacht ausgedrückt für ein Volumen von etwa einer Milliarde Euro.
Problem für Investoren und Energiewende?
In einer ersten Reaktion zeigte sich Olaf Däuper von der Kanzlei Becker Büttner Held, welche die Netzbetreiber-Seite vertrat, enttäuscht. "Ein Pyrrhussieg für die Bundesnetzagentur. Die Entscheidung wird - so meine These - rein faktisch zur Folge haben, dass das Kapital von institutionellen Anlegern wie Pensionsfonds, Versicherungen etc. angesichts der kümmerlichen Rendite anderweitig angelegt werden wird", schrieb er im sozialen Netzwerk LinkedIn. In der Folge könnte dies ein Rückschlag für die Energiewende sein. Holger Schneidewindt von der Verbraucherzentrale NRW konterte, dass die Richter:innen die Argumente gut kennen. "Sie werden sich schon umfänglich Gedanken gemacht haben, denn sie sind ja nicht blöd. Insofern haben alle diese Entscheidung zu akzeptieren und müssen damit arbeiten", antwortete er auf LinkedIn.
Eine Anwältin und ein Anwalt, die nicht namentlich genannt werden wollten, berichteten, dass der Senat die für sie relevanten Themen durchaus aufgeworfen habe. Die Verhandlung dauerte knapp vier Stunden. Man könne dem BGH also nicht vorwerfen, dass er sich nicht inhaltlich tief genug mit der Materie befasst habe. "Das Wort Regulierungsermessen fiel nicht." Was nun letzten Endes den Ausschlag für die Entscheidung gegeben habe, lasse sich heute nicht beantworten. Die Begründung wird voraussichtlich nicht vor Februar veröffentlicht.
Deutsche Eigenkapitalzinsen im internationalen Vergleich
Der Hauptkritikpunkt des OLG Düsseldorf hatte den Netzbetreibern noch vor der Verhandlung Hoffnungen gemacht. Das Gericht warf der Bundesnetzagentur (BNetzA) vor, die Methode zur Berechnung der Marktrisikoprämie (Teil der EK-Verzinsung) nicht ausreichend plausibilisiert zu haben. Die Effekte der zurückliegenden Niedrigzinsphase und höhere Zinssätze anderer Regulierungsbehörden hätte die BNetzA anderweitig überprüfen müssen.
Auch in der mündlichen Verhandlung des BGH war das ein wichtiges Argument der Netzbetreiber-Seite. "Die internationale Bandbreite lag 2021 zwischen 3,22 und 8,08 Prozent, nach Steuern sind es in Deutschland 4,13 Prozent. Nur in den Niederlanden und Flandern gibt es noch weniger", sagte der Anwalt zu energate. Wichtig zu verstehen sei, dass sich der BGH in seinem Urteil auf die Faktenlage im Oktober 2021, dem Zeitpunkt der Festlegung, beschränken muss. "Aber auch da war das Ende der Zinswende schon absehbar", argumentierte der Anwalt.
Netzbetreiber sind enttäuscht
Deutschlands größter Netzbetreiber Eon ist von dem Urteil finanziell stark betroffen. "Wir nehmen die kurzfristige Entscheidung des Bundesgerichtshofs mit Bedauern zur Kenntnis und werden die Auswirkungen analysieren", teilte ein Eon-Sprecher mit. Zunächst wolle der Konzern die konkreten Entscheidungsgründe des Gerichts abwarten. Auf die aktuelle Geschäftsplanung habe das Urteil indes keine Auswirkung. "Wir sind für die vierte Regulierungsperiode vom aktuellen EK-I-Zinssatz für Bestandsinvestitionen ausgegangen."
Der Vorstandsvorsitzende der Nürnberger N-Ergie Maik Render drückte auf Nachfrage ebenfalls sein Unverständnis aus: "Netzbetreiber benötigen für die anstehenden Rekordinvestitionen in das Stromnetz enorm viel Fremdkapital. Die Verzinsung auf einem Niveau zu belassen, das für viele, insbesondere internationale Investoren völlig uninteressant ist, ist nicht nachvollziehbar." Ähnlich fällt die Bewertung auch höher im Norden bei der Oldenburger EWE aus: "Wir erachten einen vergleichenden Blick über den Tellerrand auf andere Regulierungsregime als zielführend und notwendig." Andernfalls bliebe die Frage bestehen, ob die regulatorischen Rahmenbedingungen in Deutschland ausreichende Anreize für die notwendigen Investitionen bieten.
Hoffnung auf höhere Zinssätze bleibt
Sowohl Eon als auch die Anwälte haben die Hoffnung auf höhere Renditen spätestens in der nächsten Regulierungsperiode nicht aufgegeben. "Unabhängig vom Gerichtsverfahren werden wir uns bei der Anpassung des Regulierungssystems für die fünfte Regulierungsperiode dafür einsetzen, die bestehende Methodik zur EK-Zinsfestlegung weiterzuentwickeln", so der Eon-Sprecher. Die Anwältin berichtete zudem noch von einer zweiten Chance, die bestehenden Zinssätze vor Ende der laufenden Periode, also vor 2027 (Gas) bzw. 2028 (Strom), zu ändern: § 29 EnWG, Abs. 2. Dazu müsste aber die Bundesnetzagentur ein Einsehen haben. Denn sie darf laut dem Paragrafen ihre Methoden einer Festlegung nachträglich ändern. Entsprechende Anträge haben Netzbetreiber wohl auch bereits im Jahr 2023 eingereicht. /mt