BGH beschneidet Verbraucherrechte bei Preiserhöhungen
Karlsruhe (energate) - Der Bundesgerichtshof (BGH) schränkt die Möglichkeiten von Kunden ein, gegen Preiserhöhungen in der Fernwärme vorzugehen. Der für Energielieferungsrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass es nicht mehr ausreicht, einmalig Widersprüche gegen Preisanpassungen des Fernwärmelieferanten einzulegen. Vielmehr müssen die Kunden nun auch den zweiten Schritt gehen und spätestens innerhalb von drei Jahren nach dem Widerspruch nochmals klarstellen, dass sie an der Beanstandung festhalten. Andernfalls kann der Widerspruch seine Wirkung verlieren. Die Entscheidungen des BGH vom 25. September (VIII ZR 165/21, VIII ZR 176/21 und VIII ZR 20/22) erhöhen daher die Anforderungen an einen Widerspruch gegen Preiserhöhungen merklich, warnen Verbraucherschützer. Die Wärmebranche dagegen freut sich.
Großes finanzielles Risiko für Fernwärmeunternehmen
Der BGH beschreitet mit dieser "T-6-Rechtsprechung" ein Stück weit Neuland. Denn diese Ablauffrist für Widersprüche ist ein Novum - nicht nur im Fernwärmebereich, auch bei der Strom- und Gasbelieferung gibt es etwas Ähnliches bislang nicht. Energierechtsexperten, mit denen energate darüber gesprochen hat, messen dem BGH-Entscheid deswegen eine Bedeutung weit über den verhandelten Fall hinaus zu. Nach aktueller Rechtslage war es bislang allein wichtig, den Widerspruch rechtzeitig - also innerhalb von drei Jahren nach Bekanntwerden der Preisanpassung - zu äußern. Diese "T-3-Rechtsprechung" galt daher als "finanzielles Risiko" für Fernwärmeunternehmen, erklärte Christina Will, Rechtsanwältin der Essener Kanzlei Rosin Büdenbender, gegenüber energate.
Lange Vertragslaufzeiten in der Fernwärme
Hintergrund sind die in der Fernwärme üblichen langen Vertragslaufzeiten von zehn Jahren und mehr. An der Stelle unterscheidet sich die Wärmebranche deutlich von den im Strom- und Gassektor verbreiteten Ein- oder Zweijahresverträgen. Problematisch für die Unternehmen sei es auch, dass sie ihrerseits die Lieferverträge häufig nicht vorzeitig beenden können. So sei es bislang möglich gewesen, dass Kunden gegen eine Preisanpassung Widerspruch einlegen, sich aber weiter über viele Jahre beliefern lassen und dann bei einer unwirksamen Preisanpassungsklausel je nach Preisentwicklung erhebliche Rückforderungen geltend machen. "Das konnte bedeuten, dass die Versorger größere Summe zurückstellen mussten", so Will.
Rechtsfrieden und Beruhigung für Branche
Für den Branchenverband AGFW ist die BGH-Entscheidung vor diesem Hintergrund eine gute Neuigkeit. Norman Fricke, Bereichsleiter "Recht und Europa" des AGFW, sprach gegenüber energate von "Rechtsfrieden und Beruhigung" für die Anbieter. Dies gelte ganz besonders mit Blick auf die Nachwehen der Gaskrise, wo Preisunterschiede - vor und nach Anpassung der Preisklauseln - "ja erheblich sein können". Fricke wertet es insgesamt aber als positives Signal, dass sich die Karlsruher Richter zuletzt sehr intensiv mit dem Fernwärmesektor und seinen Besonderheiten auseinandergesetzt haben. So verweist der BGH in seiner Mitteilung neben den langen Mindestvertragslaufzeiten etwa explizit auch auf die hohen Investitionen, die in der Branche anstehen.
Offene Fragen
Für AGFW-Jurist Fricke stellt sich aber noch die Frage, inwieweit die nun getroffene Entscheidung des BGH überhaupt generalisierbar ist. Schließlich handele es sich ein Stück weit um einen exotischen Fall, den der Bundesgerichtshof verhandelt hatte. Die drei zugrundeliegenden Verfahren gehen bis auf das Jahr 2008 zurück. Nach Zugang der ersten Jahresabrechnung legten die betroffenen Kunden frühzeitig Widerspruch gegen die Preiserhöhung ein. In der Folgezeit zahlten sie aber für die von ihnen abgenommene Fernwärme weiter die erhöhten Entgelte. Nachdem das Berliner Kammergericht 2019 in einem anderen Verfahren gegen den nicht benannten Fernwärmeversorger entschieden hatte, dass dessen Preisänderungsklauseln unwirksam seien, verlangten die Kunden die Rückerstattung der ihrer Ansicht seitdem zu viel gezahlten Wärmeentgelte. Eine Entscheidung in der Sache gibt es übrigens noch nicht. Wegen der nicht ausreichenden Informationslage hat der BGH diese an die Berufungsgerichte zurückverwiesen.
Offen ist zudem auch die Frage, wie genau die Kunden künftig deutlich machen sollen, dass sie an ihrem Widerspruch festhalten, ob dazu gerichtliche Schritte vonnöten sind oder etwa eine Aussetzung von Zahlungen ausreicht. Hier gelte es noch, auf die genaue Begründung des BGH zu warten, sagen die Rechtsexperten. Diese wird noch für dieses Jahr erwartet. Verbraucherschützer raten Wärmekunden, die neuen Anforderungen zu berücksichtigen und gegebenenfalls aktiv zu werden, um nicht Gefahr zu laufen, dass ein einmal geäußerter Widerspruch seine Wirkung verliert. /ml