Belgien plant große Wasserstoff-Transporte nach Deutschland
Neuss (energate) - Der Hafen Antwerpen-Brügge will deutschen Häfen wie Wilhelmshaven und Brunsbüttel als Wasserstoff-Drehscheibe Konkurrenz machen. "Wir werden große Mengen per Binnenschiff und Kesselwagen in Richtung Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus transportieren", sagte Richard Schroeter, der Deutschland-Vertreter des Hafens beim "Wasserstoffforum Rhein/Belgien" des Tüv Süd. Die ersten Schiffe könnten ab dem Jahr 2028 eintreffen, etwa aus Namibia, Chile, Oman oder Kanada. Der Hafen habe über eine Tochtergesellschaft eigene Mitarbeiter vor Ort, die bei Logistik und Importmanagement beraten.
Damit setzt Belgien seine Aufgabe als Energie-Drehscheibe fort: 15 Prozent des LNG erreichen Europa über den Hafen Zeebrugge, Deutschland importiert inzwischen 33 Prozent seines Erdgases über Belgien. Belgien schließt so einen Teil der Importlücke, die Russland nach Beginn des Ukrainekriegs und der Explosion der Nordstream-Pipelines hinterlassen hat.
50 TWh für Deutschland
Der Hafen Antwerpen-Brügge kalkuliert damit, dass der geschätzte belgische Bedarf von 15 Mrd. kWh im Jahr 2030 nahezu vollständig über Importe gedeckt wird. "Darüber hinaus denken wir, dass wir ein Drittel des deutschen Bedarfs importieren werden", so Schroeter. Etwa 50 Mrd. kWh könnten somit ins "wichtigste Hinterland" namens Deutschland fließen. Der Wasserstoff wird in Form von Ammoniak von der Nordsee aus etwa 80 Kilometer über den Fluss Schelde transportiert und landet schließlich in Antwerpen an. Etwa die Hälfte der Mengen werde vermutlich direkt an belgische oder deutsche Industriekunden weitergehen - zunächst auf Binnenschiffen oder per Zug, ordnete der Hafen-Vertreter ein.
Denn in Antwerpen sitzt das zweitgrößte Chemiecluster der Welt. Unternehmen wie BASF, Covestro, Ineos oder Total haben langfristige Pachtverträge mit dem Hafen abgeschlossen. Die andere Hälfte des Ammoniaks wird zurückgewandelt in die Gasform und erst ins belgische Wasserstoffnetz und ein paar Jahre später ins deutsche Kernnetz fließen. Der Industriegasanbieter Air Liquide baut aktuell einen Ammoniakcracker in Antwerpen, der bereits bis Januar 2025 in Betrieb gehen soll. Weitere Projekte sind laut Schroeter weit fortgeschritten: die belgische Fluxys plant für 2028 eine Investition gemeinsam mit dem niederländischen Tanklagerspezialisten Advario für ein Ammoniak-Terminal und Cracker ebenso wie etwas später die niederländische VTTI. Und Vopak schafft mit dem Rückbau einer Raffinerie dieser Tage auch Platz für die Lagerung von Ammoniak. Das Ammoniak oder der rückverwandelte Wasserstoff soll in der Chemie- aber auch in der Stahlindustrie zum Einsatz kommen, darüber als Tankstoff für Seeschiffe.
Kernnetz-Anschluss Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre
Schiffe und Züge, die Ammoniak durch Nordrhein-Westfalen transportieren, sind aber nur eine "Zwischenlösung", so Schroeter. Denn die Wasserstoff-Mengen, die Abnehmer wie Thyssenkrupp Steel oder Salzgitter brauchen, sind so groß, dass diese logistische Herausforderung auch mit Nachtschichten nicht zu bewältigen sei. Der belgische Netzbetreiber Fluxys plant, bis 2026 die Häfen von Gent und Antwerpen mit einer Wasserstoffpipeline zu verbinden und will diese perspektivisch bis 2028/2029 bis zum deutschen Grenzpunkt Eynatten verlängern. Ab da wird dann der deutsche Netzbetreiber Open Grid zuständig, an dem Fluxys 25 Prozent hält.
Im ersten Abschnitt sei eine Anbindung des von RWE geplanten wasserstofffähigen Kraftwerks am Standort Weisweiler geplant, wie der Geschäftsführer der Fluxys Deutschland GmbH Friedrich Rosenstock auf der Tagung erläuterte. Später geht es südlich an Köln vorbei, um den Anschluss an das restliche Kernnetz zu finden. In Hürth-Knapsack und Wessling sitzen große Industriekunden. Rosenstock gab sich optimistisch, dass sich durch die Kernnetz-Genehmigung "das Henne-Ei-Problem ein Stück weit löst". Die ersten Netz-Cluster entstehen voraussichtlich da, wo eine lokale Wasserstoffproduktion mit einem lokalen Abnehmer Sicherheit schafft. "Das wird auch fliegen", so der Geschäftsführer. Aber das Vermaschen des Netzes im zweiten Schritt, werde nur passieren, wenn die Moleküle tatsächlich da sind, um die Rohre zu füllen. Das wird zur Aufgabe der Bundesnetzagentur, die alle zwei Jahre die Netzentwicklung überprüfen wird. /mt