"Bei der Dauer der Regulierungsperiode haben wir Gesprächsbedarf"
Schwerin/Dresden (energate) - Über den Länderausschuss wirken Vertreterinnen und Vertreter aller Bundesländer auf die Entscheidungsprozesse der Bundesnetzagentur ein. Mitten im NEST-Prozess tagt das Gremium zum 100. Mal. energate sprach dazu mit Kerstin Meißner, Leiterin der Regulierungsbehörde in Sachsen, und Christian Engelke, Leiter der Landesregulierungsbehörde von Mecklenburg-Vorpommern, die derzeit den Vorsitz des Länderausschusses innehaben.
energate: Herr Engelke, Frau Meißner, der Länderausschuss der Bundesnetzagentur kommt in dieser Woche zu seiner 100. Sitzung zusammen. Welche Funktion hat das Gremium?
Engelke: Der Länderausschuss hat einen gesetzlichen Auftrag. Er ist eine Plattform für den Austausch und die Information zwischen der Bundesnetzagentur und den Landesregulierungsbehörden. Ziel ist ein bundeseinheitlicher Vollzug von Regulierungsentscheidungen im Bereich der Strom- und Gasnetze. Das trägt uns das EuGH-Urteil zur Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur auf: Bundes- und Landesbehörden müssen in entscheidenden Fragen Benehmen herstellen.
Meißner: Im Länderausschuss sind alle Länder vertreten - auch diejenigen, die die Regulierungsaufgabe per Organleihe an die Bundesnetzagentur abgetreten haben. Im Regelfall kommen wir fünf- bis sechsmal pro Jahr zusammen, um uns über Regulierungs- und Netzthemen auszutauschen. Aktuell kommt allerdings die ein oder andere Sondersitzung hinzu, da uns der NEST-Prozess intensiv beschäftigt. Hinzu kommt ein regelmäßiger Fachaustausch im Arbeitskreis Netzentgelte.
energate: Mit dem NEST-Prozess justiert die Bundesnetzagentur die Regulierung der Strom- und Gasnetze derzeit neu. Wie wirkt der Länderausschuss darauf ein?
Meißner: Der NEST-Prozess ist unheimlich anspruchsvoll. Wir sehen positiv, dass die Bundesnetzagentur dazu einen offenen Diskussionsprozess angestoßen hat, an dem viele Akteure teilnehmen können. Entscheidend ist für uns, dass die Argumente, die die Netzbetreiber und die Landesregulierungsbehörden vorbringen, gehört werden. In einigen Punkten war das bereits der Fall, etwa beim Festhalten an der kalkulatorischen Gewerbesteuer. Bei anderen Themen sind wir noch im Gespräch.
energate: Wo haben Sie konkreten Gesprächsbedarf?
Engelke: Vor allem bei der Dauer der Regulierungsperiode. Wir sehen eine Verkürzung von fünf auf drei Jahre kritisch. Das würde bei Netzbetreibern und Regulierungsbehörden zu einer hohen Belastung führen. Die großen Netzgesellschaften können das vielleicht leisten, die kleinen eher weniger. Sinnvoll wäre aus unserer Sicht, erstmal die Erfahrungen mit dem geplanten Opex-Aufschlag und mögliche Entscheidungen der Gerichte abzuwarten und erst dann eine finale Entscheidung zu treffen.
Meißner: Bereits bei den jetzigen fünfjährigen Perioden kommen wir bei den Bescheiden kaum hinterher, manchmal auch, weil Vorarbeiten der Bundesnetzagentur nicht abgeschlossen sind - etwa beim generellen Produktivitätsfaktor. Problematisch ist zudem, dass bei einer dreijährigen Regulierungsperiode die Anreizwirkung verloren gehen könnte. Laut Gesetz müssen die Effizienzvorgaben erreichbar und übertreffbar sein. Daran habe ich bei so kurzen Abständen Zweifel. Hinzu kommt, dass die Qualität der Prüfung der Bescheide nicht zulasten der Netzkunden gehen darf.
Affront gegen VKU-Vorschlag
energate: Wie stehen Sie zu dem Vorschlag, dass die jährliche Opex-Anpassung in der fünften Regulierungsperiode nur für das Regelverfahren, nicht aber im vereinfachten Verfahren gelten soll?
Meißner: Das sehe ich durchaus als Affront gegenüber dem VKU und halte es für nicht akzeptabel. Der Verband hat als Vertreter der kleinen Unternehmen das Modell erarbeitet. Das ist gut gelungen und praxistauglich. Nun zu sagen, dieses Modell gilt nur für die Regelverfahren und die Kleinen bleiben außen vor, ist gewagt. Denn kleine Netzbetreiber haben genauso mit Kostensteigerungen zu kämpfen.
energate: Die Vereinfachung der Regulierung ist ja ein ganz grundsätzliches Ziel der Bundesnetzagentur. Sehen Sie hier die Weichen richtig gestellt oder gibt es weiteres Potenzial?
Meißner: Einige Schritte gehen in die richtige Richtung, zum Beispiel die Pauschalierungen beim WACC, aber es gibt noch Luft nach oben. Das betrifft etwa die vielfältigen Datenabfragen. Da entstehen enorme Aufwände und ich frage mich, ob das wirklich dem Ziel dient und ob das den Aufwand rechtfertigt. Hier würden wir uns mehr Mut wünschen, Dinge einfach einmal wegzulassen. Bauchschmerzen haben wir außerdem bei den geplanten Änderungen beim vereinfachten Verfahren.
energate: Inwiefern?
Engelke: Da gibt es zwei unterschiedliche Aspekte. Zum einen plant die Bundesnetzagentur ein supervereinfachtes Verfahren für sehr kleine Netzbetreiber. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Davon profitieren aber nur sehr, sehr wenige Netzbetreiber. Bei uns in Mecklenburg-Vorpommern ist es nur einer.
Meißner: In Sachsen sind es zwei, das ist also nicht der große Wurf. Auf der anderen Seite sehen wir bei der geplanten Umstellung auf das Kriterium der Marktabdeckung, dass möglicherweise viele Unternehmen vom normalen vereinfachten Verfahren in das Regelverfahren wechseln würden. Das erahnen viele Unternehmen noch gar nicht. Dazu kommt, dass die Qualitätsregulierung in Zukunft für alle gelten soll. Das sorgt für mehr statt für weniger Aufwand.
energate: Die Bundesnetzagentur sagt, alle sollen in Zukunft bei der Energiewendekompetenz mitziehen müssen. Was halten Sie dem entgegen?
Engelke: Wir versuchen in der Regulierung immer sehr genau zu sein. Dabei stellt sich die Frage, ob sich diese Genauigkeit immer messen lässt. Zudem ist fraglich, ob kleine und große Netzbetreiber wirklich vergleichbar sind. So gibt es bei uns in Mecklenburg-Vorpommern - und bestimmt auch in anderen Bundesländern - Netzbetreiber, die auf eigene Netzingenieure verzichten und zum Beispiel die Netzverträglichkeitsprüfung einer Erneuerbarenanlage an größere Netzbetreiber oder Dienstleister ausgegliedert haben. Da darf über das Qualitätselement nicht zu einem Malus führen, wenn es aufseiten des Dienstleisters einmal zu Verzögerungen kommt.
energate: Das heißt, Sie sehen eher Nach- als Vorteile bei einer Belohnung oder Bestrafung von Energiewendekompetenz?
Engelke: Es besteht zumindest die berechtigte Sorge, dass kleine Netzbetreiber immer stärker unter Druck geraten. Regulierer sind aber nicht dafür da, Strukturpolitik zu machen. Die Rekommunalisierung wurde durchaus begrüßt. Heute haben wir eine Vielfalt an Netzbetreibern und wir sollten über die Netzregulierung nicht so viel Druck ausüben, dass sich dies ändert.
energate: Wie ist die Stimmungslage unter den Landesregulierungsbehörden grundsätzlich? Würden Sie einen Malus mittragen?
Meißner: Hinter der heutigen Qualitätsregulierung liegt bereits ein sehr komplexes Rechensystem. Bei unseren Netzbetreibern in Sachsen gibt es Unternehmen, die leben schon länger mit einem Malus. Andere bekommen wiederum jedes Jahr einen Bonus. Aber für die kleineren Unternehmen, bei denen jetzt erstmalig Daten erhoben werden, für die können wir die Problematik nur schwer abschätzen. Und vielleicht ist es für einige auch nicht leistbar.
Generelle Entschädigung für Abregelungen zur Diskussion stellen
energate: Die Bundesnetzagentur will auch den Katalog der dauerhaft nicht beeinflussbaren Kosten zusammenstreichen und beispielsweise Redispatch in den Effizienzvergleich bringen. Erhalten Sie dazu viele kritische Stimmen der Netzbetreiber?
Engelke: In Mecklenburg-Vorpommern sind davon nur wenige Netzbetreiber betroffen, die aber sehr stark. Ich sehe das Vorhaben durchaus kritisch. Denn die Unternehmen sind zum Teil von externen Faktoren abhängig wie etwa der Genehmigung eines neuen Umspannwerks oder Leitungsbau durch die zuständigen Behörden. Da haben sie selbst wenig Einfluss. Dazu könnte es auch Fehlanreize geben: Wer Erneuerbarenanlagen langsamer anschließt, hat auch wenig Redispatch-Kosten. Alternative Instrumente beim Redispatch sind daher womöglich der bessere Ansatz. Es stellt sich etwa die Frage, ob Anlagen in Engpassgebieten weiterhin eine Entschädigung für die Abregelung bekommen sollen.
energate: Neben der Vereinfachung bleibt die Kosteneffizienz das große Ziel der Regulierung. Lassen sich mit den geplanten Änderungen der Regulierung die Netzentgeltsteigerungen begrenzen?
Engelke: Wir können nur den Netzentgeltanstieg dämpfen, in dem wir die Kosten auswählen, die auch tatsächlich ins Netz hineingehören. Sobald ein Unternehmen in das Netz investiert, fallen Kapitalkosten an, die automatisch in die Entgelte einfließen. Das heißt, beim Gros der Kosten haben wir keinen Angriffspunkt - und das gilt nicht nur für die Übertragungsnetzbetreiber, sondern über die 110-kV-Ebene bis hinunter zur Niederspannung. Der Anstieg der Netzkosten zeigt sich über alle Netzebenen. Wir können nur versuchen, ihn zu begrenzen und eine genaue Kostenzuordnung sicherstellen.
energate: Diskutiert wird, ob auch Erneuerbarenanlagen künftig einen Teil der Netzausbaukosten tragen müssen. Wie stehen Sie dazu?
Engelke: Es ist unstrittig, dass Windparks Investitionen in die Netze nach sich ziehen und insbesondere große PV-Parks durch ihre Gleichzeitigkeit diese sogar verstärken können. Mit der Festlegung zur fairen Verteilung von Netzkosten aus der Integration erneuerbarer Energien hat die Bundesnetzagentur ein Instrument geschaffen, alle Stromverbraucher fairer an diesen Mehrkosten zu beteiligen. Mecklenburg-Vorpommern hat hiervor sehr stark profitiert. Mit ihrem Papier zu Baukostenzuschüssen hat die Bundesnetzagentur bereits eine Richtung eingeschlagen. Das betrifft zwar nur die Lastseite, etwa Batteriespeicher. Es ist aber ein Zeichen, dass sich die Netzentgeltsystematik bewegt - weg von der Bepreisung der Arbeit, hin zur Bepreisung der Leistung. Das halte ich für sinnvoll.
Meißner: Es ist auf jeden Fall eine Diskussion wert, ob unser System in der aktuellen Form noch zeitgemäß ist. Angestoßen ist die Diskussion und das finde ich wichtig. Letztlich ist es aber eine politische Entscheidung.