BDI trommelt für billionenschweres Rettungsprogramm
Berlin (energate) - Die Rettung des Industriestandorts Deutschland ist eine teure Angelegenheit. 1.400 Mrd. Euro an zusätzlichen Investitionen bis 2030 veranschlagt der Branchenverband BDI auf Basis einer neuen Studie dafür. Gebraucht wird dieses Geld für direkte Dekarbonisierungsinitiativen, Digitalisierung, die Instandsetzung maroder Straßen und Schienen, den Ausbau der Strom- und Ladeinfrastruktur sowie die Schaffung neuer Transportnetze - vor allem für CO2 und Wasserstoff. Das, so BDI-Präsident Siegfried Russwurm, sei zwar "irre viel Geld, aber an der Transformation zu scheitern, wäre noch teurer", konstatierte er bei der Vorstellung der Studie "Transformationspfade". Die jüngste Auflage hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und das Beratungshaus Boston Consulting Group (BCG) erstellt.
Diesem immensen Investitionsaufwand zum Trotz, laut Studie jährlich 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, braucht es aus der Sicht des BDI keine Abkehr von der Schuldenbremse, betonte Russwurm im Rahmen einer Pressekonferenz. Schließlich verfüge Deutschland über Spielräume, die Staatsausgaben zu priorisieren und auch effizienter zu gestalten, argumentierte er. Die Schuldenbremse biete in ihrer gegenwärtigen Form ausreichend viele Möglichkeiten, die nötigen Investitionen auszulösen, unterstützte in diesem Punkt auch IW-Direktor Michael Hüther.
"Reform der Schuldenbremse unrealistisch"
Ohnedies sei die aktuell politisch vielfach diskutierte Reform der Schuldenbremse weder mit den Mehrheitsverhältnissen der gegenwärtigen noch der wahrscheinlichen Folgeregierung realistisch, sagte er: "Das werden wir nicht hinbekommen." Für die Debatte um die Einführung eines Industriestrompreises brauche es zunächst eine klare Einschätzung darüber, wie teuer Energie langfristig sein wird, sagte wiederum Russwurm auf Nachfrage.
"Geschäftsmodell Deutschland akut bedroht"
Dabei stellt das 194-seitige Papier zweierlei dar: eine "bedrückende" Bestandsanalyse zum "akut bedrohten Geschäftsmodell Deutschland" mit einem "fundamentalen Standortproblem", wie Russwurm ausführte. Getrieben sei dieses Problem nach wie vor durch die schleppende Digitalisierung, den Fachkräftemangel, hohe Steuern und Arbeitskosten, aber vor allem durch die "im globalen Wettbewerb vergleichsweise hohen Energiekosten bei gleichzeitig schrumpfenden Märkten". Insgesamt sieht der BDI ein Fünftel der industriellen Wertschöpfung bedroht "wie nie zuvor", so der Verbandspräsident.
Besagtes Gefährdungspotenzial trifft die Industriesektoren laut der Studie unterschiedlich stark und ist auch innerhalb der einzelnen Sektoren nicht gleich verteilt. In Gefahr sind demnach besonders energieintensive Unternehmen, die deshalb unter hohem Kostendruck stehen. Zugleich spielt aber auch eine Rolle, ob die Unternehmen absehbar sehr viel in ihre Transformation zu investieren haben und auf welcher Stufe der Wertschöpfungskette sie stehen.
Staat müsste 460 Mrd. Euro zuschießen
Neben der Bestandsanalyse soll die Studie zweitens auch eine Blaupause für eine dringend und schnell benötigte "neue industriepolitische Agenda" werden. Sie sei somit als "Weckruf" zu verstehen, so BCG-Zentraleuropachef Michael Brigl. Die öffentliche Hand müsste laut den Berechnungen demnach ein Drittel beisteuern - also rund 460 Mrd. Euro. Die übrigen zwei Drittel müssten von Unternehmen und Privathaushalten in die Hand genommen werden. Dazu allerdings brauche es deutlich mehr Pragmatismus in der Regulatorik beziehungsweise deutlich attraktivere Rahmenbedingungen und mehr Klarheit. Andernfalls werde das produzierende Gewerbe sich trotz aller Dringlichkeit weiter mit Investitionen zurückhalten, prognostizieren die Studienmacher.
BDI für CCS an Land - CBAM soll auf den Prüfstand
Die Studie skizziert insgesamt 15 Handlungsfelder. Zu den zentralen Forderungen zählen besserer Zugang zu klimafreundlicher Erzeugung und die Überprüfung und deutliche Weiterentwicklung des neuen europäischen CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM). Ferner wünschen sich Deutschlands Industrieunternehmen, dass die CO2-Abscheidung über CCS auch an Land generell möglich werden soll. Die jüngste Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes sieht dies bislang nur per "Opt-out-Klausel" vor. Als dringliche Maßnahme, die kein zusätzliches Geld koste, nennen die Studienmacher Bürokratieabbau. Ferner brauche es Entscheidungen darüber, welche Bereiche der Industrie mit Blick auf die "strategische Souveränität" gehalten werden sollen und in welchen ausgewählten Bereichen auf Importe zu setzen ist.
Energie- und Wärmewende als aussichtsreiche Transformationsfelder
Grundsätzlich und vor allem technisch, so IW-Direktor Hüther, sei "der politisch verordnete Strukturwandel auf Termin" machbar. Allerdings werde es zunehmend schwierig, den Zeitplan zu halten. Chancen, die Transformation zum Erfolg zu führen, sehen IW, BCG und BDI unter anderem in Klimatechnologien und im Segment Internet of Things (IoT). "Bis 2030 entstehen vor allem in grünen und digitalen Technologien Wachstumsmärkte mit einem Umsatz von insgesamt mehr als 15 Bio. Euro", heißt es dazu in dem Papier. Vor allem rund um die Energie-, Antriebs- und Wärmewende sowie industrielle Automatisierungs- und Digitalisierungslösungen sehen die Studienmacher die Industrie vergleichsweise gut positioniert. Allen Herausforderungen zum Trotz sei Deutschland in der Lage, in diesen zentralen Zukunftsmärkten Weltmarktführer zu werden, resümierte Unternehmensberater Brigl. /pa