"Auch wir müssen uns verändern"
Hamburg (energate) - Der Ökostromanbieter Green Planet Energy beging im Herbst seit 25-jähriges Firmenjubiläum. Aus diesem Anlass befragte energate Vorstand Nils Müller nach der Stimmung angesichts des Ampel-Scheiterns und der hohen Dynamik im Vertriebsgeschäft. Zudem zog Müller im Gespräch ein Zwischenfazit nach 25 Jahren Energiewende.
energate: Herr Müller, Green Planet Energy hat im Herbst das 25-jährige Jubiläum gefeiert. Seit der Gründung des Unternehmens hat die Energiewende ja durchaus Fortschritte erzielt. Feiern Sie Ihr Jubiläum entsprechend in Sektlaune oder ist Ihnen angesichts der politischen Unwägbarkeiten gar nicht nach Feiern zumute?
Müller: Beides trifft zu. Wir haben durchaus vieles erreicht in den vergangenen 25 Jahren. Als Green Planet Energy - damals noch unter dem Namen Greenpeace Energy - zur Zeit der Marktliberalisierung gegründet wurde, ging es ja noch darum, erneuerbare Energien überhaupt in den Markt zu bringen und zu beweisen, dass sich so Strom produzieren lässt. Inzwischen haben wir über 60 Prozent Erneuerbare im Strommix, was eine beachtliche Entwicklung darstellt. Zugleich haben wir als Unternehmen unsere Kundenzahl von anfangs 180 auf rund 200.000 erhöhen können und sind zugleich mit mehr als 42.000 Mitgliedern die größte Energiegenossenschaft in Deutschland. Da darf man schon mal feiern. Zugleich führen die Erfolge der Energiewende auch zu neuen Herausforderungen im Energiemarkt, die neue Weichenstellungen erfordern. Insofern ist es mehr als unglücklich, dass wir uns nach dem Ampel-Aus in einer Phase des politischen Stillstands befinden. Schlimmer noch: Es steht sogar zu befürchten, dass eine neue Bundesregierung viele notwendige Prozesse rückgängig macht und die Energiewende nicht weiterkommt. Diese Aussicht muss man nicht gerade feiern.
energate: Woran denken Sie, wenn Sie von neuen Herausforderungen und notwendigen Veränderungen sprechen?
Müller: Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo wir den Fokus auf die Systemintegration der erneuerbaren Energien legen müssen. Jetzt gilt es zu zeigen, dass ein Strommarkt auf Basis von großen Mengen fluktuierender Erzeugungstechnologien funktioniert. Dafür müssen wir den Rahmen setzen. Da hat die aktuelle Bundesregierung viele gute Initiativen auf den Weg gebracht. Diesen Schwung dürfen wir jetzt nicht verlieren. Ein völlig falsches Signal wäre aber eine neue Diskussion um die Kernkraft, die uns ja womöglich mit einer künftigen, CDU-geführten Bundesregierung ins Haus steht. Es sollte doch längst allen klar sein, dass Atomkraftwerke uns beim Umbau unserer Energieversorgung nicht weiterbringen. Selbst die ehemaligen Kraftwerksbetreiber wollen das nicht.
energate: Der Markt, in dem Green Planet Energy seinerzeit an den Start gegangen ist, ist mit dem heutigen Energiemarkt kaum noch vergleichbar. Was macht es mit einem Energiewende-Pionier, wenn Ökostrom zur Normalität geworden ist?
Müller: Ein Commodity-Produkt wie Storm ist natürlich schwierig abzugrenzen. Aber klar ist doch, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, um Deutschland vollständig mit grünem Strom zu versorgen. Und wir haben nach wie vor viele Unternehmen, die mit ihren Stromprodukten Augenwischerei betreiben. Gängige Praxis ist ja, dass Graustrom mit Herkunftsnachweisen aus dem Ausland grün gefärbt wird. Rechtlich ist das nicht angreifbar, aber es ist schlicht nicht redlich und es nützt auch der Energiewende nichts. Insofern sind wir noch längst nicht fertig und sehen unsere Mission auch darin, auf solche Marktmissstände aufmerksam zu machen. Wir zeigen ja selbst, dass man es auch anders machen kann, indem wir Strom und die entsprechenden Herkunftsnachweise direkt von Anlagenbetreibern kaufen, deren Anlagen wir auch kennen.
energate: Trotzdem gilt: Es reicht nicht mehr, ein Ökostromprodukt anzubieten, um sich im Markt zu differenzieren. Wie reagiert Green Planet Energy auf diese Herausforderung?
Müller: Zunächst einmal ist festzuhalten, dass wir derzeit eine Dynamik im Vertriebsmarkt haben, wie es sie über Jahrzehnte in diesem Ausmaß nicht gegeben hat. Daher bin ich sicher, dass auch wir uns verändern müssen und neue Geschäftsfelder erschließen müssen - vielleicht auch schneller als andere. Denn unser Selbstverständnis ist es, als Energiewende-Vorreiter neue Wege aufzuzeigen und andere Marktteilnehmer mitzureißen. Die Vermarktung von Flexibilitäten ist beispielsweise eines der Themen, das künftig eine größere Rolle spielen wird. In diesem Bereich, gerade mit Blick auf die Bezugsoptimierung für Eigenheime, passiert aktuell sehr viel im Wettbewerb. Für Haushalte in Mehrfamilienhäusern ist das Thema Stichwort Mieterstrom relevant, wo wir auch sehr aktiv sind. Vor kurzem haben wir daher den Hamburger Solarprojektierer Hello Sun übernommen, um unser Engagement im Bereich der dezentralen erneuerbaren Energieversorgung weiter zu stärken. Und dann wartet mit dem Thema Wärmewende die nächste große Herausforderung auf uns, die oberste Priorität für eine nächste Bundesregierung haben sollte.
energate: Welche Rolle spielt die Wärmewende für Sie als Ökostromanbieter?
Müller: Wir sind auch im Gasvertrieb aktiv und müssen uns fragen, welches Angebot im Sinne der Energiewende wir in dem Bereich machen können. Hochwertiges Biogas kann im Gasvertrieb nicht die Antwort für alle heutigen Gasheizungen sein, weil es dieses Produkt in der benötigten Menge nicht geben wird. Also müssen wir auf andere Lösungen setzen - und zwar abseits von Gas. Daher versuchen wir derzeit, unsere Gaskunden aktiv zu motivieren, von der Gastherme auf eine Wärmepumpe umzusteigen. Wir sehen, dass hier immer noch große Aufklärungsarbeit zu leisten ist, denn es ist bei vielen noch nicht angekommen, dass die Wärmepumpe auch in heutigen Bestandsimmobilien die Regel sein kann.
energate: Kunden von Green Planet Energy gelten als vergleichsweise treu. Doch zuletzt haben auch Sie an Kunden eingebüßt. Verliert die Energiewende an Zugkraft?
Müller: Dass wir zuletzt leicht Kund:innen verloren haben, hatte eher mit der Preissituation zu tun. Wir beschaffen unsere Energiemengen sehr langfristig. Insofern hatten wir noch immer Mengen aus der Hochpreisphase im Portfolio, was uns im Wettbewerb um Neukund:innen eine ungünstige Position verschafft hat. Dieser Effekt schleicht sich jetzt aber raus und inzwischen sind wir wieder deutlich näher an unseren Wettbewerbern dran. Zum 1. Januar 2025 haben wir unsere Tarife spürbar gesenkt - in unserem Stromtarif Ökostrom aktiv um 4 ct/kWh senken. Als Energiegenossenschaft nehmen wir unsere bestehenden Kund:innen auf der Preiskurve auch nach unten wieder mit.
energate: Sie haben die starke Dynamik im Vertriebsmarkt angesprochen. Tatsächlich sind viele Anbieter mit neuen Ideen unterwegs, die insbesondere smarte Tarife inklusive Hardware für Prosumer im Angebot haben. Wie schauen Sie auf diesen Markt?
Müller: Der Trend zu solchen Prosumer-Produkten ist klar erkennbar. Die grundsätzliche Idee, die hinter diesen Angeboten steckt, halte ich für richtig. Für Kund:innen mit Eigenheim können solche Kombiprodukte eine sinnvolle Lösung sein. Aber ich würde jedem Kunden raten, genauer hinzuschauen. Häufig werden solche Produkte mit einem relativ günstigen Stromprodukt beworben, aber im Kleingedruckten lauern weitere Kosten für die dazugehörige Hardware. Zudem wird man an eine bestimmte Produktwelt gebunden, aus der der Kunde so schnell nicht mehr herauskommt. Daher wäre ich hier vorsichtig.
energate: Ein weiterer Trend sind dynamische Stromtarife - für Sie ein relevantes Produkt?
Müller: Absolut. Ich bin überzeugt davon, dass solchen Tarifen die Zukunft gehört. Wir brauchen solche dynamischen Angebote, um die Netze zu stabilisieren und Lastflüsse besser zu steuern. Wir haben ebenfalls einen flexiblen Tarif im Portfolio, der sich an den Handelspreisen orientiert. Das Interesse unserer Kund:innen an diesem Tarif ist enorm, allerdings haben die meisten Haushalte noch kein intelligentes Messsystem. Deswegen bieten wir neuerdings einen monatsvariablen Tarif an, der nicht auf ein intelligentes Messsystem angewiesen ist. Eine solche Lösung ist aber nicht das, was wir in Zukunft brauchen, wenn es darum geht, den Verbrauch am Energieangebot auszurichten. Hier ist es wichtig, dass wir endlich vorankommen.
energate: Green Planet Energy gehört zu den Pionieren, wenn es um die Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse geht. Inzwischen spricht der gesamte Energiemarkt über Wasserstoff. Haben sie die Chance versäumt, als Vorreiter in dem Markt eine größere Rolle zu spielen?
Müller: Nein, wir sind sehr zufrieden mit unseren Aktivitäten und unserer Marktrolle. Wir haben 2011 ein Gasprodukt auf den Markt gebracht, bei dem unsere Kund:innen einen Fördercent für den Bau von Elektrolyseuren gezahlt haben. Ab 2016 haben wir dann tatsächlich grünen Wasserstoff produziert, den wir bis heute ins Gasnetz einspeisen. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten war das eine Herausforderung, aber irgendjemand musste damit anfangen und zeigen, dass es funktioniert. Uns war klar, dass wir lediglich eine Initialzündung setzen können und der Markt uns an einer bestimmten Stelle überholen wird. Bei den Großprojekten, die nun vielerorts in der Planung sind, müssen wir nicht unbedingt dabei sein.
energate: Haben Sie noch Ambitionen in dem Geschäft?
Müller: Tatsächlich sind wir für viele kleinere und mittelgroße Projekte beratend tätig, etwa zum flexiblen Betrieb der Elektrolyseure. Indem sie ihren Betrieb an die Stromproduktion aus Wind und Sonne anpassen, produzieren sie einerseits echten grünen Wasserstoff und tragen andererseits zu einer effizienten Nutzung des erneuerbaren Stroms bei. Je mehr Projekte flexibel betrieben werden, desto besser stützt das die Marktwerte der Erneuerbaren. Das reduziert direkt das staatliche Fördervolumen.
energate: Herr Müller, herzlichen Dank für das Gespräch!